Abendmahl mit Kindern

 

Die Evangelische Landeskirche in Württemberg hat vor einiger Zeit eine Neuerung in unserer Landeskirche eingeführt: Neben dem traditionellen Konfirmandenunterricht in der 7. und 8. Klasse wird den Kirchengemeinden in Württemberg vorgeschlagen, die Kinder in der 3. Klasse zu dem Projekt „KU 3" (Konfirmandenunterricht in der 3. Klasse) einzuladen. Im Rahmen die- ses „KU 3" sollen Kinder im Alter von 8 bis 9 Jahren an verschiedene Grundinhalte unseres Glaubens herangeführt werden. Themen können z.B. Kirchengemeinde, Kirchenfeste, Taufe und auch das Abendmahl sein. Dadurch wird die Frage nach dem „Abendmahl mit Kindern" neu angeregt und bedacht. Eine Arbeitshilfe wurde herausgegeben, die Vorschläge enthält, wie ein solches Abendmahl mit Kindern aussehen kann.

 

Auch unsere Gemeinschaften werden mit dieser Frage konfrontiert. Bei Abendmahlsfeiern auf Freizeiten, aber auch in unseren Gemeinschaften kommt es vor, dass Kinder an dieser Feier teilnehmen wollen, weil sie durch den KU 3 von unserer Landeskirche die Erlaubnis dazu be- kommen haben. Dies führte zu Anfragen an den Landesbrüderrat, wie wir in unserem Verband mit dieser Frage umgehen sollen. Deshalb wenden wir uns mit diesem Brief an euch.

 

0. Wie war es bisher?

Auch in den vergangenen Jahren konnten Kinder nach einer Unterweisung (z.B. im Kindergottesdienst) bereits vor der Konfirmation das Abendmahl erhalten. Die Abendmahlshandreichung der Württembergischen Landeskirche vom 29. November 1979 ging davon aus, „dass Kinder, die getauft sind, nicht grundsätzlich von der Teilnahme am Abendmahl ausgeschlossen werden können." Voraussetzung war, dass die Kinder ein Verständnis für das Abendmahl haben mussten. Ein Papier der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland (VELKD) überließ 1977 die Zulassung weitgehend dem Pfarrer und Kirchengemeinderat auf der einen Seite, den Eltern auf der anderen Seite. Dies führte in der Praxis dazu, dass der Eindruck entstand, die Teilnahme der Kinder sei prinzipiell in die (großzügige) Entscheidung des Kirchengemeinderates oder des Pfarrers gestellt. Um dieser Unsicherheit zu wehren, wurden die Ausführungsbestimmungen am 8. April 2000 von der württembergischen Landessynode einstimmig so verändert, dass „Kinder eingeladen sind, am Abendmahl teilzunehmen.

Sie sollen ihrem Alter gemäß darauf vorbereitet sein.

 

1. Wie war es in der Geschichte?

a) Alte Kirche

In der alten Kirche konnte jeder Getaufte am Abendmahl teilnehmen. Eine frühe Diskussion um das Kinderabendmahl ist uns nicht bekannt. Daraus kann man schließen, dass getaufte Kinder am Abendmahl völlig selbstverständlich teilnahmen (argumentum e silentio). Bis heute ist in der Orthodoxen Kirche das einzige Zulassungskriterium zum Abendmahl die Taufe.

Augustin betonte die Zulassung zum Abendmahl auch für Kinder: „Es sind Kinder, aber sie werden zu Gliedern von ihm (Christus). Es sind Kinder, aber sie empfangen seine Sakra mente. Es sind Kinder, aber sie werden seine Tischgenossen, damit sie das Leben haben."

b) Mittelalter

Erst im Mittelalter brach die Frage auf, ob man das Abendmahl nicht erst austeilen dürfe, wenn das Kind ins „Alter der Unterscheidung" (anni discretionis - je nach Epoche war dies das 7., 13. oder 14. Lebensjahr) gekommen ist.

c) Reformation

Zur Zeit der Reformation stellte sich die Frage nach dem Kinderabendmahl nicht. Hier ging es um andere Fragen, z.B. die der Rechtfertigung. Im Großen Katechismus fragte Luther, wer denn „die Person sei, die solche Kraft und Nutz (aus dem Abendmahl) empfahe"? (Bekennt nisschriften S. 714 Z. 20ff). Kurz und knapp erläuterte er: „Wer da solchs glaubt, wie die Wort lauten und was sie bringen". Damit stellte er beim Empfang des Abendmahls den Glauben in den Vordergrund. Interessanterweise verband er diese Antwort mit dem Grundsatz der Taufe.

Genauso wie Luther die Taufe an den Glauben gebunden hatte („Wer glaubt und getauft wird..."), war für ihn auch beim Abendmahl der Glaube entscheidend für den Nutzen des Empfangens. Beide Male, bei Taufe und Abendmahl, ging Luther davon aus: „Soviel du glaubst, soviel empfängst du!" und nahm damit ein Wort von Augustin auf.

Zum Abschluss des Abendmahlsartikels im Großen Katechismus erwähnte Luther am Rande, dies gelte nicht nur für "uns Alte und Große, sondern auch für das junge Volk..." (Bekenntnisschriften S. 724 Z. 48f).

Auch die Große Kirchenordnung (Württemberg 1559) erwähnte die mögliche Teilnahme von Kindern („Jungs" im Sinne von Kindern) am Abendmahl.

d) Pietismus,

Der Pietismus nahm den biblischen Gedanken, den Luther wieder betont hatte, auf: „Wer glaubt und getauft wird...". Das führte zur Wertschätzung der Bekehrung. Daher wurde die Unterweisung - die zur Bekehrung führen sollte - zur Regel. Die Konfirmation, das „Festma chen" (wörtlich eigentlich „das mit Christus in die Gemeinde einmauern") wurde so durch den Pietismus neu eingeführt.

200 Jahre wurde die Frage nach dem Alter nicht mehr diskutiert: Nur unterwiesene Kinder

durften am Abendmahl teilnehmen. Diese Praxis prägt gerade uns Gemeinschaftsleute bis

heute.

e) Die letzten Jahrzehnte

Seit einigen Jahrzehnten wurde diese Regelung aufgeweicht. Der theologische Hintergrund war dabei sicher die Verschiebung des Verständnisses des Abendmahls, weg von dem Mahl der Sündenvergebung (das letzte Abendmahl am Gründonnerstag) hin zum Liebes- und Ge meinschaftsmahl (Jesus aß mit Zöllnern und Sündern).

Dadurch entstand Unsicherheit. Um der Gefahr des Wildwuchses zu begegnen, hat die Landeskirche nun die schon oben erwähnte Ordnung festgelegt: „Kinder sollen eingeladen werden, am Abendmahl teilzunehmen. Sie sollen ihrem Alter gemäß darauf vorbereitet sein.... Es wird empfohlen, den Kindern Traubensaft zu reichen."

 

2. Theologische Begründung

 

a)  Wer an Jesus Christus glaubt, gehört zum Leib Christi. Kann der, der zum Leib Christi     gehört, vom Abendmahl ausgeschlossen werden?

b)   Allein Jesus Christus ist der Gastgeber beim Abendmahl. Jesus lädt den Teilnehmer ein,     er bietet seine Vergebung an, und er bietet enge Verbindung mit ihm und dem Vater an.

c)   Daher sollte dem Eindruck gewehrt werden, als ob der Kirchengemeinderat oder die     Großzügigkeit des Pfarrers Kinder zum Abendmahl zulasse.

d)   Im Abendmahl wird letztlich dasselbe verkündigt wie bei der Taufe: das Evangelium von     der Gnade Jesu in Vergebung und Annahme. Damit wird nicht die Tat (Werke) des     Christen in den Vordergrund gestellt, sondern Gottes Wirken an uns.

e)  Wer Kinder vom Abendmahl ausschließen will, muss sich die Frage stellen: Wenn beim     Abendmahl die Entscheidung des Menschen eingefordert wird, müsste dies dann nicht     auch bei dem anderen Sakrament, der Taufe, geschehen? Aus dem selben Grund, aus     dem wir Kinder taufen, sind auch Kinder zum Abendmahl eingeladen. Jesus Christus lädt     ein (Mark 10,14). Der Nutzen aus dem Empfangen hängt am Glauben, nicht am Alter.

f)     Das Abendmahl fügt die Menschen, die daran teilnehmen, in den Leib Jesu Christi hinein.     Das gilt nicht nur für Erwachsene, denn weder Alter noch Verstand, weder Einsicht noch     der Glaube, der für uns nicht überprüfbar ist, ist nach der Bibel der Maßstab, nach dem     die Zulassung zum Abendmahl ermöglicht wird. Bei Jesus ist es noch nicht einmal der     Gehorsam (vgl. Judas!). Freilich schließt sich derjenige vom Nutzen des Abendmahls -     wie auch der Taufe - selbst aus, der nicht glaubt.

g)  Würden wir am Maßstab des Alters festhalten, müssten wir uns fragen, ab welchem Alter?     Weitergehend müsste die Frage erlaubt sein, ob dann auch eine bestimmte geistige Ent-    wicklung notwendig sei? Dies würde bedeuten, dass ein geistig Behinderter nicht am     Abendmahl teilnehmen dürfte, nur weil er das Geschehen eventuell nicht oder nicht mehr     verstehen kann! Diesen Schritt jedoch wird wohl niemand gehen wollen.

h)   Paulus warnt jedoch davor, „unwürdig" am Abendmahl teilzunehmen. Unwürdig teilneh-     men heißt für ihn, das Abendmahl nicht von einer normalen Mahlzeit zu unterscheiden     und beim Essen und Trinken sich gehen zu lassen bis hin zur Betrunkenheit. Wenn Kin      der am Abendmahl teilnehmen, ist darauf zu achten, dass sie in ihrem Vermögen andäch-     tig und nicht sich und andere störend daran teilnehmen.

 

3. Entwicklungspsychologische Begründung

a)   Bis ins Alter von 12 Jahren sind Kinder in einer ganz entscheidenden Phase der Prägung.     Sie lassen Neues eher an sich heran. Mit der Pubertät jedoch beginnt eine Phase der Kri-     tik im Leben des jungen Menschen. Der Jugendliche löst sich ab vom Elternhaus, um     selbständig zu werden. In dieser Zeit ist es schwer, mit Jugendlichen Themen wie Taufe     und Abendmahl zu besprechen. Sie werden in dieser Phase alles, das Verhalten und den     Glauben der Eltern bzw. Älterer und auch biblische Aussagen kritisch hinterfragen.

b)   Darum ist es entwicklungspsychologisch besser, sie in frühem Alter oder sonst nach der     Pubertät in das Geheimnis des Abendmahls einzuführen.

c)   Wollen wir mit dem Konfirmandenunterricht und der Teilnahme am Abendmahl warten bis     nach der Pubertät, können wir in Schwierigkeiten (schulische Ausbildung, Abschluss der     Lehre, mittlere Reife, Abitur usw.) kommen. Wir haben dann die kostbare Zeit verstreichen lassen, in der sie noch aufgeschlossen waren für Glaubensfragen.

d)  Wer das Abendmahl nur den Erwachsenen vorbehalten möchte, läuft Gefahr, dass er zum     Abendmahl nur noch rein rationalen Zugang, d.h. von seinem Verstand her geprägten,     findet. Dies entspricht aber nicht dem biblischen Verständnis, das von „schmecket und     sehet" spricht (Psalm 34,9).

e)   Genauso gefährlich ist es jedoch, das Abendmahl nur zu einem emotionalen (gefühls-     mäßigen) Erlebnis werden zu lassen.

 

4. Praxis

Wenn Kinder am Abendmahl teilnehmen, wird sich die Abendmahlspraxis in der Landeskirche verändern. Das Abendmahl wird so gestaltet werden, dass es die Kinder verstehen. Wir hören immer wieder den Vorwurf, wenn das Abendmahl von der Sündenvergebung her verstanden werde, wirke es bedrückend. Dies muss uns Pietisten zu denken geben, denn die Vergebung ist etwas Beglückendes. Wie können wir begreiflich machen, dass die Freude an Jesus Christus (vgl. Psalm 103,2 „Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. Der dir alle deine Sünden vergibt") eine logische Folge aus dem Handeln Gottes im Abendmahl ist? Neben der Freude darf jedoch nicht vergessen werden: Vergebung bekommen wir nur durch den gekreuzigten Jesus Christus! In Freudenstadt hat die Kirchengemeinde gute Erfahrungen gesammelt, wenn sie bei be stimmten Abendmahlsfeiern (im Rahmen des Abendmahls der neuen Konfirmanden der 3. Klasse) alle Kinder mit nach vorne gebeten hat. Diejenigen, die noch nicht im Konfirmanden unterricht sind, erhalten ein kleines Kärtchen mit einem Segensvers, der ihnen mit Handauf legung zugesprochen wird. Die Rückmeldungen sind durchweg positiv gewesen. Schwierig könnte es nun werden, wenn Kindern die Teilnahme am Abendmahl woanders, z.B.

in der Gemeinschaft, nicht gewährt wird.

 

5. Bitte des Landesbrüderrates an die Gemeinschaften

Der Landesbrüderrat hat in der letzten Sitzung nach ausführlicher Beratung beschlossen, dass

wir als Altpietisten die Austeilung des Abendmahls an Kinder nicht forcieren, d.h. nicht als Vor reiter betreiben wollen. Gleichzeitig wird aber die Möglichkeit eröffnet, wo Abendmahl mit Kin dern gewünscht wird, z.B. auf Freizeiten, dies nach Absprache mit den Geschwistern zu er möglichen. Dabei gilt, sie sollten ihrem Alter gemäß darauf vorbereitet sein (siehe 1. e)).

Entwurf von Gottfried Holland, Freudenstadt