Leid Artikel in der Stuttgarter Zeitung im Jaunuar 2005

 

Stuttgart - Das Leid, das die Katastrophe in Asien angerichtet hat, ist nicht zu bemessen. Viele Menschen fragen sich: Wenn es einen Gott gibt, wie konnte er so etwas zulassen? Wir haben Vertreter der Weltreligionen und der wichtigsten christlichen Konfessionen gebeten, diese Frage zu beantworten.

Juden

Diese Frage ist aus einer engen, menschlich subjektiven Perspektive gestellt. Die Leute stellen diese Frage nie, wenn ihnen die Hochkonjunktur Wohlstand und Wohlergehen beschert, sondern nur dann, wenn etwas passiert. Diese Katastrophe kann nicht mit einer Boshaftigkeit Gottes gedeutet werden. Es ist das menschliche Schicksal, dass wir annehmen müssen, was Gott uns auferlegt - ob gut oder schlecht. Das Gute und das Ungute sind rein menschlich subjektiv. Was heute gut ist, kann morgen sich wandeln und böse werden und umgekehrt. Die Katastrophe in Asien kann unter Umständen dazu führen, dass die Menschen ihre kleinliche Haderei untereinander aufgeben und solidarisches Handeln lernen. Daher sind Katastrophen nicht zu deuten. So wie die Katastrophe von Auschwitz nicht zu deuten ist. Ich spüre eine tiefe Verachtung gegenüber Menschen, die anfangen, die Katastrophe etwa als Strafe Gottes zu deuten. Es ist eine Anmaßung zu glauben, dass man Gottes Absicht beurteilen kann.

Joel Berger,  Landesrabbiner a. D. von Württemberg

Katholiken

Ratlos stehen wir vor solchen Fragen seit der Shoah, dem Mord an den Juden Europas. Wir stehen vor der rätselhaften Größe unseres Gottes, dessen Gedanken und Handelnwir nicht verstehen können. Wir können zu

ihm und vor ihm schreien, klagen, stammeln und beten, wie auch in den Konzentrationslagern und in Katastrophensituationen Menschen geschrien, geklagt, gestammelt und gebetet haben. Ich wünsche mir und den Menschen, die vom Seebeben in Südasien direkt oder indirekt betroffen sind, einen Glauben, wie ihn Juden an die Wand eines Kölner Kellers geschrieben haben: „Ich glaube an die Sonne, auch wenn sie nicht scheint. Ich glaubean die Liebe, auch wenn ich sie nicht fühle. Ich glaube an Gott, auch wenn er schweigt." Als Christ schaue ich auf Jesus, den leidenden Gott am Kreuz, in dem Glauben, dass er als der auferstandene Herr „jede Träne aus ihren Augen wischen wird: der Tod wird nicht mehr sein, nicht Trauer noch Klage noch Mühsal. Denn die alte Welt ist vergangen" (Offb. 21,4).

   Heinrich   Mussinghoff,   katholischer Bischof, Aachen

Buddhisten

  Buddhisten stehen in ihrer eigenen Verantwortung. Sie kennen keinen Erlöser. Sie sind der Ansicht, dass sie sich durch Gedanken, Worte und Handeln ihre Gegenwart schaffen und damit die Voraussetzungen für die Zukunft. Buddhisten nennen das Karma. Eine der buddhistischen Grundsätze ist das Erkennen der Vergänglichkeit aller Dinge und Beziehungen. Das Ereignis in Asien führt uns Vergänglichkeit und Tod vor Augen; wir sind gefragt, wie wir selbst damit umgehen würden. Es bedeutet letzten Endes die Frage: Was fange ich mit meinem Leben an, angesichts seiner Endlichkeit und der Ungewissheit, wie lange ich noch lebe? Das Entwickeln von Mitgefühl ist für Buddhisten ein zentrales Anliegen. Ich glaube, dass die große Spendenbereitschaft für die Katastrophenopfer und vor allem für die Kinder in Asien unsere Betroffenheit zeigt, unsere Bereitschaft, mit den Opfern zu fühlen. Nicht die sonnigen Seiten des Lebens lassen uns nach tiefem Verständnis fragen, sondern das Erleben von Hilflosigkeit und Tod. Nachdenken über die Katastrophe kann eine Einkehr bedeuten und helfen, unseren Weg bewusster zu gehen.    Klaus Jork, Vorsitzender der Buddhistischen Gemeinschaft Chödzong in Langen

Protestanten

  Die Flutkatastrophe hat schonungslos vor Augen geführt, dass es auf die Frage nach dem Sinn des Leidens keine Antwort gibt. Gott hat in Jesus selbst tiefstes Leiden erfahren und überwunden. Deshalb gibt es für Christen nur einen Weg, mit dem Leiden umzugehen: es mit den Leidenden zu teilen. Der christliche Glaube vermag das in der großen Hoffnung auf Gottes Zukunft ohne Leid, Schmerz und Tod.

   Alfred Büß, Präses der Evangelischen Kirche in Westfalen

Moslems

Auch eine solche Naturkatastrophe geschieht nicht gegen den göttlichen Willen. Der Koran sagt in der 2. Sure, Vers 156: „Siehe, wir gehören Allah, und zu ihm kehren wir heim." Diese Rückkehr geschieht auf unterschiedlichen Wegen, durch natürlichen Tod, durch Unfälle, durch Naturgewalt. Aber immer ist es eine Heimkehr in die göttliche Obhut. Die Überlebenden einer solchen Katastrophe werden von Gott in eine Prüfung gestellt. Sure 67, Vers 2: „Der Tod und Leben schuf, um zu prüfen, wer von euch am besten handelt." Der Menschheit ist eine große Gelegenheit gegeben zu helfen, Gutes zu tun. In der Tat hat der 26.12. ein neues großes Thema in unser Leben gebracht: Wie können wir helfen? Und schließlich erinnert uns die Katastrophe an die besondere menschliche Situation: Wir sind in Gottes Hand, und über unser Ende bestimmen wir nicht selbst.

  Mustafa   Günesdogdu,   Sunnitischer Imam der islamischen Gemeinde Hamburg

Orthodoxe

Hinter dieser Frage steht die nach dem Sinn des Leides. Andererseits zeigt die Fragestellung, dass der Mensch an alles, auch an Gott, seine eigenen Maßstäbe anlegt. Wir denken, die Herren der Welt zu sein. Doch ist unsere Herrschart auch über die Natur nicht unbegrenzt. Vor allem aber wollen wir Gott nicht Gott sein lassen. Zu dieser Problematik studiere man in der Bibel das Buch Hiob! Gott ist der ganz Andere. Seine Gedanken sind nicht unsere Wege. Von diesem Gott, dessen Ratschluss uns verborgen ist, dürfen wir uns hinwenden zu dem Gott, der in Jesus Christus Mensch wurde. Nur hier bei Christus ist Rettung, auch im Leiden, ja im Sterben und durch den Tod hindurch.

   Augoustinos  Labardakis,  Metropoli Griechisch-orthodoxe Kirche, Bonn

Hindus

   Das Unglück ist eine Reaktion des Gottes darauf, dass die Gerechtigkeit auf der Erde immer mehr verloren gegangen ist. Der Tsunami ist eine Warnung der Erde und des Gottes, dass man lernen soll, miteinander zu leben. Gott hat eine Warnung gegeben, damit die Menschen wieder stärker zusammenfinden und es mehr Gerechtigkeit gibt. So eine Warnung gibt es etwa alle 100 Jahre. Dieses Mal sind sehr viele Unschuldige betroffen, unter den Opfern waren nicht unbedingt die Bösen. Wenn jetzt keine Konsequenzen gezogen werden und alles so weitergeht, erwarte ich eine noch größere Katastrophe.

   Sri  Arumugam  Paskaran,   oberster Priester des Hindu-Tempels in Hamm