Auslegung von Matthäus 22

von Michael Strauch


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Gliederung:

  1. Verse 1-14: Wer den Sohn nicht ehrt...
  2. Verse 15-22: Jedem, was ihm gebührt
  3. Verse 23-33: 1:0 für das Leben
  4. Verse 34-40: Gott ist Liebe
  5. Verse 41-46: Gipfelsturm

1. Wer den Sohn nicht ehrt... (Verse 1-14)

Im Gleichnis von den bösen Weingärtnern (Kap 21) sprach der Herr von denen, die verpflichtet waren, im Weinberg zu arbeiten. In diesem Gleichnis vom Hochzeitsmahl (Verse 1-14) spricht der Herr vom Verhalten derjenigen, die eingeladen sind. Bei den Weingärt nern ging es primär um die geistlichen Führer Israels, bei dem Gleichnis vom Hochzeitsmahl um ganz Israel.

In Vers 2 wird deutlich gemacht, dass das Reich Gottes Ziel und Aufgabe hat, dem „Sohn ein Fest zu feiern!" Im vorigen Gleichnis ging es darum, die Frucht der Arbeit einzuholen. In diesem Gleichnis geht es darum, dass etwas angeboten wird. Der Sohn soll ve rheiratet werden. Ein königlicher Sohn. Der König ist Herrscher über ein Land, hier über Israel. Er will, dass alle Untertanen eingeladen werden und sich mitfreuen an der Vermählung des Sohnes. Noch einmal: Ziel und Sinn des Reiches Gottes ist die Ehrung u nd Verherrlichung des Sohnes durch den Vater!

Der König sendet seine Diener aus, um das Volk einzuladen. Wir sehen an den unterschiedlichen Reaktionen, welche Personengruppen angesprochen sein könnten. Besonders die, die auf den Acker oder ihren Geschäften nachgingen, sind leicht zu identifizieren. Es sind zum einen Zöllner und schlichtweg der hädonistisch gesinnte, „moderne" Mensch. Leute, die ihren Wert und ihr Glück allein in der Materie haben. Menschen, die sich gerne und geschickt zwischen Beruf und Geldverdienen, Vergnügen und Freizeit bewegen. M enschen, die von geistlichen Gütern, wie sie der König anbietet, nichts halten.

Und zum anderen die Eiferer. Menschen, die in der Lehre Jesu eine gefährliche Seuche sehen, einen Irrglauben, eine Blasphemie und in ihrem Eifer es als göttliches Recht sehen, die Herolde des Königs umzubringen.

Beide Gruppen, die einen argumentativ und freundlich, die anderen definitiv und gewaltätig, verweigern das Kommen und lehnen die Einladung ab. Das aber ist eine schwere Schuld. Es ist eine schwere Schuld, die Einladung des himmlischen Vates zur Hochzeit se ines Sohnes zu kommen, abzulehnen.

In seinem Zorn läßt er die „Mörder" töten und zündet die Stadt an. Die Betonung liegt auf den Mördern, als die Eiferer, nicht primär auf den Gleichgültigen. Sie alle erleiden dasselbe Schicksal, aber in den Untergang Jerusalems hat der Pharisäismus getrieb en. Auf ihnen liegt die Hauptschuld.

Nun lädt der König eine andere Personengruppe ein. Denn eines ist sicher: das Fest wird stattfinden. Das Evangelium geht in die Welt. Nun muss folgendes festgehalten werden:

Man könnte den Eindruck gewinnen, als seien die Heiden eine Art Notlösung. Wenn Israel sich hätte einladen lassen, wäre das Evangelium nie zu den Heiden gelangt. Nein, sondern die Heiden waren von Anbeginn im Blickfeld Gottes.Wir werden später in der Apost elgeschichte feststellen, wie schwer sich der Jude Petrus tut, zu den Heiden zu gehen. Auch Paulus ging primär zu den Juden. Der Herr selbst wirkte unter ihnen. Es war also auch wichtig, deutlich zu machen, dass Israel den Messias ablehnt und die jüdischen Boten mit gutem Gewissen das Heil nun auch zu den Heiden bringen konnte. Es sei: statt der Bürger werden Ausländer zu Gästen des Königs!

Wie ist nun aber der Schluss des Gleichnisses zu verstehen, wo unter den Geladenen einer zu finden ist, der kein Hochzeitskleid anhatte. Zuerst möchte ich aus meiner Sicht folgende Argumente als nicht stichhaltig ablehnen:

Jeder bekam am Eingang ein Gewand vom König geschenkt. Der Betroffene hat es abgelehnt und sich irgendwie durchgemogelt. Diese Auffassung fügt dem Gleichnis Inhalte hinzu, die so nicht dastehen.

Die Geladenen waren bettelarm und konnten sich kein Gewand leisten. Zuerst sind mit den Geladenen die Heiden gemeint. Darunter gab es Reiche wie Arme. Und dass er sich kein Gewand leisten konnte, wird ebenfalls nicht erwähnt.

Wir müssen also klären, was mit dem Gewand gemeint ist. Nocheinmal: bei den beiden Gleichnissen geht es um das große Thema Himmelreich. Es geht um Israel, um das Heilige Volk, dass sich stolz auf die Erwählung berief. Es geht um ein Volk und besonders um i hre geistlichen Führer, die die Güter Gottes angenommen haben, diese aber für eigenen Zwecke missbrauchten. Es geht um das Volk, dass seit seiner Erwählung auch „heilig" gesprochen wurde. Also ausgesondert, um in besonderer Weise Gott zu dienen. Die Güter Gottes nahmen sie gerne an, den Gehorsam verweigerten sie dem König. Der König nimmt die einmal ausgesprochene Berufung ernst. Aber das Volk diskreditiert sich selbst, indem sie die Einladung nicht annimmt. Kurz: das Volk Israel ist berufen, aber die Beruf ung führt nicht automatisch zum Heil, wenn man den himmlischen König „einen guten Mann sein läßt!" Denn Israel war auch verpflichtet zum Gehorsam.

Nun beruft Gott aus den Heiden sein Volk. Ein Volk, das zuvor nicht erwählt war. Ein Volk, dass nicht heilig war. Ein Volk oder besser Völker, die aber auch nicht unter dem Gesetz standen. Sie zu erwählen, überschreitet jüdisches Vorstellungsvermögen und F römmigkeit. Aus den Fremden werden zum Gottesvolk berufen, die sich rufen lassen, und deren sind nicht wenige. Dass sie berufen werden ohne eine lange Vorgeschichte wie bei Israel ist allein in der Gnade Gottes begründet (was schaust Du so scheel, weil ic h so gütig bin...). Es ist reine, unverdiente Gnade, dass der König nun die verachteten und verhaßten Fremden zum Gottesvolk beruft. Die Gnade schützt den Berufenen aber nicht vor seiner damit entstehenden Pflicht. Wer der Einladung Jesu nachgeht, wer mit dem Herrn Jesu ein neues Leben beginnen will, ist auch verpflichtet, ihm zu gehorchen. Man kann nicht zum Festmahl Jesu kommen, essen und trinken, am Ende sagen: war ganz nett bei euch, ich geh wieder. Das geht nicht. Wer zu Jesus eingeladen wird, der soll sein Untertan werden.

So verstehe ich das hochzeitliche Gewand. Es ist ein Bild der Ergebung des Menschen unter Gott. Indem der Geladene sich bedankt und deutlich macht, ich möchte in deinem Reich leben und tun, was Du mir sagst, demnach wird er ein „hochzeitlich" Gewand haben. Wer es nicht tut, wer meint, er können mit Jesus kokettieren, halb mit ihm leben, der irrt. Er ist zum Gericht fällig. Die Berufung allein rettet nicht. Die Betonung der Gnade ist wichtig, aber wer dem Herrn den Gehorsam verweigert, der muss mit den Konse quenzen rechnen.

2. Jedem, was ihm gebührt (Verse 15-22)

Es hat sich bis heute nicht geändert. Heute wie damals gab es unterschiedliche Glaubensbewegungen, und jeder meint, Gott auf seiner Seite zu haben. Im Christentum meinen allen, Jesus besonders zu dienen. In der Zeit Jesu vermutete jeder, dass Jesus die Leh re der anderen Partei vertrat. Die Sadduzäer dachten, Jesus vertrete die Auferstehungslehre 1:1 wie die Pharisäer. Die Pharisäer vermuteten, dass Jesus die Auferstehung in Frage stellt wie die Sadduzäer. Die Rabbiner sahen in Jesus zelotisches Gedankengut. Sie reagieren auf Jesus allergisch, so wie die christlichen Gruppierungen das heute auch tun, weil der Herr einzelne Punkte ihrer Frömmigkeit als Sünde offenlegt. Nun aber, so glaubten die Gelehrten Israels diesmal mit eigenartige Einmütigkeit, hatten sie „das Ei des Kolumbus" gefunden. Sie stellen ihm die Frage, aus der es nach ihrer Ansicht kein Entrinnen geben konnte: die Frage nach Jesu Stellung zum römischen Kaiser. Ein Jude, der den römischen Kaiser verehrt, und sei es allein durch die Bezahlung der römischen Steuer, kann nicht der verprochene Messias sein. Dieser würde vielmehr die Römer aus dem verheißenen Land vertreiben.

Würde der Herr aber öffentlich verkündigen, dass man den Römern keine Steuern zu zahlen brauche, dann würden die geistlichen Herren ihm den römischen Fiskus an den Hals hetzen. Noch einmal: die Juden gingen vom ersten Gebot aus: Gott ist einer. Er ist Herr , ihm allein gebührt alle Ehre. Durch die Bezahlung der Steuer an Rom, so das jüdische Denken, erwies man dem römischen Kaiser, der sich als alleinigen Pantokrator sah, die Ehre. Für einen frommen Juden kaum denkbar. So wurde das Judentum in verschiedene L ager geteilt. Die armen Bauern hielt sich insgeheim zu den Zeloten. Sie verlangten, dass sich die Juden in keine römische Steuerliste eintragen lassen dürfe, wenn er Gott nicht verleugnen wolle. Die Schriftgelehrten wiederum sahen Rom als notwendiges Übel. Ein Teil des Zornes Gottes über sein Volk. Darum duldeten sie die Steuer. Zurück zu Jesus. Die Frage an Jesus war ein tödlicher Trick. So schlicht und einfach. Sie werden sich gefragt haben, warum sie nicht früher auf die Idee gekommen waren. So einfach, und doch so unentrinnbar erschien ihnen diese Versuchung. Die Herodianer stehen schon Gewehr bei Fuss, so sicher waren sich die Pharisäer.

Wie reagiert nun der Herr auf diese knifflige Frage, ob der Jude Steuern an den Kaiser zahlen solle? Er läßt sich eine Münze geben. Sie hat das Bild des römischen Kaisers, was gegen das jüdische Bilderverbot verstieß. Man muss bedenken, dass Münzen und ihr e Prägungen damals für Propagan- dazwecke missbraucht wurden. Eine Münze, in Italien hergestellt und geprägt. Das Bild, der Entstehungsort machen deutlich: das Geldstück gehört dem römischen Kaiser. Was ihm gehört, muss getrennt werden von dem, was Gott ge hört. Natürlich gehört Gott im Grunde alles. Aber Gott vergreift sich nicht so einfach am Besitz eines Menschen. Er gesteht Besitz dem Menschen zu. Die römische Münze gehört in den Besitz des römischen Kaisers. Man muss dadurch keine Gewissens-konflikte ha ben. Schwierig wird es doch dann, wenn Gott jemanden ausdrücklich etwas anvertraut hat aus seinem expliziten Besitz, und diese dann dreist proklamieren, es gehöre nun ihnen. Das Gleichnis mit den Weingärtnern greift in diesem Moment. Gott etwas zu nehmen, etwas für sich zu nutzen und als Eigentum zu behandeln, ist Diebstahl an Gott. Dem römischen Kaiser gibt man durch die Steuer römischer Münzen zurück, was in seinem Land geprägt wurde. Es geht vielmehr darum, Gott nicht vorzuenthalten, was ihm gehört. An d er Zahlung der römischen Steuer wird nicht ersichtlich, ob jemand Gott die Ehre geben will oder nicht. Diese, auf Äußerlichkeiten beharrende Gedanken sind ganz ähnlich dem des Marktes im Tempelhof.

Die Frage bleibt nun: was gehört den Gott? Was gebührt ihm? Worin besteht die Frucht, die Gott sucht? Jesus gibt hier keine Antwort. Er sagt nur: Gebt Gott, was ihm gehört. Eines scheint sicher zu sein: es ist nicht etwas, was der Mensch schaffen kann, her stellen und anbauen kann. Wenn also von Gottes Eigentum die Rede ist, dass er den Seinen gibt und die Frucht aus diesen Gaben fordernt, dann müssen wir fragen, was Gott dem Gläubigen geschenkt hat. Nun hat Gott uns Gaben gegeben, natürliche Fähigkeiten und Geistesgaben. Mit ihnen sollen wir Gott ehren und ihm dienen. Gott hat das Leben gegeben, die Vergebung der Sünden, sovieles - mit dem sollen wir Gott ehren. Was soll ich Gott geben? Mein Leben! Jesus gelangt am Schluss beim ersten Gebot: Gott lieben, mit allem, was mich ausmacht.

Indem er die römische Steuer als römisches Eigentum deklariert, kann der Zelot den Herrn nicht angreifen. Jesus gibt dem Besitzer sein Eigentum zurück. Wie die Römer mögen auch die Münzen in ihr Land zurückkehren. Steuern zahlen, ja. Weil die Steuer die Eh re Gottes nicht antastet. Gott will keine Steuern, sondern unsere Herzen. Darin konnten auch die Pharisäer und Schriftgelehrten ihn nicht fassen. Sie sind bass erstaunt und gehen.

Gebt Gott, was Gottes ist!

 

3: 1:0 für das Leben (Verse 23-33)

Die Pharisäer und Sadduzäer hatten eine große, theologische Differenz: die Auferstehung der Toten. Erstere glaubten fest daran, Letztere lehnten sie ab. Diese Differenz ist natürlich ein gefundenes Fressen, um Jesus eine Falle zu stellen. Nicht minder hint erhältig wie die Frage nach der römischen Steuer. Und damit wurde dem Herrn eine zentrale Frage gestellt. Zentral, weil sie von zentralen Dingen handelt: vom Tod und vom Leben. Der Herr Jesus kann nicht den Weg des Kreuzes gehen, ohne an den Sieg durch die Auferstehung zu denken. Der Tod ist Gottes Feind, das Leben Gottes Gabe. Gott will, dass der Mensch lebt, auch wenn er gleich stürbe. Diese Hoffnung vertraten die Sadduzäer nicht und lehnten somit die eschatologische Theologie der Pharisaer ab.

Nun liegt es am Herrn, anhand der Schrift zu beweisen, dass die Auferstehung eine Realität sei. Pharisäer und Sadduzäer, die sich auch in den Schriften nicht einig waren, anerkannten die Thora. Durch die Thora muss Jesus erklären, wodurch die Auferstehung begründet werden soll. Denn die sadduzäischen Theologen fanden keinen Hinweis. Mehr noch: durch die Anordnung Gottes, die hier exemplarisch dargestellt wird, zeigt sich, dass es die Auferstehung nicht geben kann. Der Gedankengang der Sadduzäer war wie folg t:

Wenn der Mann einer Frau stirbt, ohne Nachkommen erhalten zu haben, so ist der Bruder des Verstorbenen verpflichtet, dies Witwe zu ehelichen und ihr Kinder zu gebähren. Sollte auch dieser sterben, geht es so weiter. Soweit, so gut. Nun ist die Logik folgen de: wenn es eine Auferstehung gäbe, dann könnte die Frau ja warten, bis sie ihren Mann in der neuen Welt sieht und dort könnten sie Kinder zeugen. Dass aber für den Toten Ersatz gesucht wird, dass die Frage der Nachkommen-schaft in diesem Leben gelöst werd en muß, ist für die Sadduzäer ein klarer Hinweis darauf, dass es keine Auferstehung gibt. Denn sonst würde Gott diese Art der Lösung für die Witwe nicht anordnen.

Es geht noch weiter. Wenn Gott zulässt, dass eine Frau nach dem Tod ihres Mannes einen anderen heiraten kann und nach seinem Tod den nächsten, dann würden ja alle Männer nach der Auferste-hung ein Anrecht auf sie haben. Das würde aber eine von Gott verbote ne Polygamie nach der Auferstehung bedeuten und das könne ja wohl nicht sein.

Diese Beweisführung der Sadduzäer klingt leicht zu widerlegen. Aber in Wahrheit schoben die Sadduzäer dem Herrn eine pharisäische Theologie unter. Die Pharisäer sagten, dass das, was in der Gegenwart nacheinander geschieht, im Himmelreich voll vorhanden is t. Was der Tod schmerzhaft zerstört, wird in der Auferstehung freudig ein Wiedersehen feiern. Wer also mehrmals verheiratet war, wird im Himmelreich mehrere Ehepartner haben. Die Pharisäer hatten dieser Logik nichts entgegenzusetzen.

Was auffällt, ist die Absurdität der Frage. Denn bei welcher Frau sterben nacheinander sieben Männer, sie denn eine Femme fatale. Und welcher Mann hat soviele Brüder, die alle willig sind, die Frau zu heiraten. Der Beweis ist bewußt und mit Bedacht hoch ge spitzt. Jesus soll sich daran die Zähne ausbeißen. Mehr noch. In der Beweisführung liegt Spott. Man hofft, dass Jesus unter Spott und Gelächter nachgeben muß.

Jesus hebt zur Antwort an. Sein Antwort gründet er wie gewünscht auf die Thora. Mehr noch. Er bezieht seine Antwort nicht aus irgendeiner Begebenheit aus dem AT, sondern leitet es vom Gottesnamen selbst ab. Diese Wende kann von seinen Gegnern nichts entgeg engesetzt werden. Gott bezeichnet sich nach dem Tod der Erzväter als Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Gott ist aber ein Gott des Lebens, nicht des Todes. Gott ist nicht ein Gott, der sich nach Toten benennt, sondern nach Lebenden. Wenn die drei Erzväter im Namen Gottes verewigt sind, dann müssen sie bei Gott existieren.

Zugleich wirft der Herr einen tiefen Einblick in das Jenseits. Bei Gott ist der Zustand nach der Auferstehung nicht gebunden an die Natur (sie werden sein wie die Engel). Alles, was jetzt den Menschen ausmacht, mit seinen Intressen, Anliegen, Mühen und dem , was ihm wichtig ist, all das wird im Himmel nicht wichtig sein. Wir werden Gott lieben und ihm dienen wie die Engel es tun. Und wie geschlechtslosen Engel werden die Auferstandenen keinen Geschlechtsverkehr kennen, folglich ist auch keine Ehe nötig. Die Auferstehung ist keine Erneuerung dessen, was der Tod vernichtet, sondern ein neues Leben bei Gott. Frei von natürlichen, fleischlichen Grenzen. Gott, der Vater wird alles in allem sein.

4. Gott ist Liebe (Die Verse 34-40)

Der Herr Jesus hat den Sadduzäern vortrefflich geantwortet. Der Herr hat sie nicht dem Spott der Menge preisgegeben. Niemand zeigt mit Fingern auf die Verlieren, niemand lacht, niemand tritt nach. Jeder weiß oder ahnt, darum ging es dem Herrn nicht. Doch d as Verhör Jesu ist nicht vorbei. Wie die Pharisäer sahen, wie die Sadduzäer in ihrer Kerntheologie „baden gegangen" sind, holen sie nocheinmal aus und wollen von Jesus den Kern des Gesetzes wissen. Denn wie der Herr Jesus zum Gesetz steht, macht für die Ph arisäer deutlich, wie sie ihn einzuordnen haben. Wer hier nun annimmt, dass der Herr in irgendeiner Weise bei den Pharisäern die Chance hatte, ernst genommen zu werden, der irrt. Es blieb nicht vergessen, dass der Herr in der Bergpredigt das Gesetz eigenmä chtig verschärfte. Unvergessen seine Worte über die Reinheitsgebote, unvergessen seine Ansicht über den Scheidebrief des Mose. Doch diesmal brauchen die Pharisäer eine - nach ihrer Ansicht - fundamen-tale Falschaussage.

Ein Pharisäer tritt auf ihn zu und „versuchte" ihn. Nun müssen wir eine sprachliche Eigenart anführen: Luther übersetzt mit „das vornehmste Gebot" nicht schlecht. Denn der Hebräer gebraucht hier keinen Superlativ im Sinne von „das größte...!" Das Dilemma b estand für den Pharisäer darin, dass er die Schrift in seiner Gesamtheit als heilig und von Gott in gleichen Maßen gewichtet sah. Jedes Wort in der Thora ist von Gott gegeben und gleiches Gewicht. Ob etwas wichtiger oder weniger wichtig, darüber hat der Me nsch nicht zu urteilen. Der Mensch steht vor jedem Gebot und jedes Gebot ist für ihn von universaler Bedeutung. Und doch müßte es ein Gebot geben, dass gleich einem König den anderen vorsteht. Eben das vornehmste Gebot. Die Pharisäer wollen wissen, ob der Herr Jesus einem Gebot einen besonderen Vorrang gibt und andere abwertet. Dieses Gebot muss in der Stellung zu Gott von entscheidenster Bedeutung sein.

Die Antwort Jesu ist so einleuchtend wie tiefgründig. Indem er auf das erste Gebot hinweist, nämlich dass Gott alles in allem ist, dass Gott alle Ehre gebührt, damit macht er deutlich, dass das Gesetz heilig ist und von Gott gegeben. Der Herr Jesus steht n icht wider das Gesetz. Der Herr wäre aber nicht wider das Gesetz gewesen, wenn er das Sabbathgebot genannt hätte oder ein anderes. Der Herr hätte sagen können, dass alle Worte der Schrift heilig sind. Aber der Herr wählt das erste Gebot und wird durch dies es Bekenntnis für die Versuchungen der Pharisäer unantastbar. Aber: gerade im ersten Gebot liegt die Freiheit, von der Herr spricht. Gerade im ersten Gebot liegt das „gebt Gott, was Gottes ist!" Im ersten Gebot wird im Gegensatz zu den anderen Geboten nich t äußerliche Handlungen und Taten verlangt, sondern das erste Gebot greift tiefer, ins Herz des Menschen. Im Gegensatz zu den vielen Äußerlichkeiten, auf die Theologen der Zeit Jesu so großes Gewicht legten, sagt der Herr, dass der Mensch mit allem, was ih n innerlich ausmacht, Gott lieben soll. Wer Gott liebt, der handelt nach Gottes Willen. Denn wer liebt, tut, was der Geliebte will. Gerade in der Liebe zu Gott steht aller Gehorsam und alle Freiheit. Die Pharisäer und Schriftgelehrten kannten nur das Geset z, den Buchstaben, das blinde Befolgen von Regeln. Sie liebten Gott nicht. Denn wenn sie Gott lieben würden, dann würden sie Christus lieben. Und wenn sie ihn lieben würden, dann würden sie die lieben, die ihnen anvertraut sind.

Der Herr stellt das Gebot der Nächstenliebe dem Gebot der Gottesliebe als ebenbürtig dar. Auch die Lehrer des Gesetzes haben dagegen keine Einwände. Gott zu lieben heißt, seinen Nächsten zu lieben wie sich selbst. Gott will geliebt sein in der Gemeinschaft der Heiligen. Ich kann Gott nicht ehren und meinem Nächsten die Ehre verweigern. Ich kann nicht Gott lieben, den Bruder hassen. Aus dem Gebot der Gottes-und Nächstenliebe erwächst alles andere automatisch. Denn wie kann ich jemanden bestehlen, den ich lie be? Wie kann jemanden belüge, den ich liebe? Wie kann ich die Ehe brechen, wenn ich meinen Partner nicht weh tun möchte? Das tiefe Geheimnis wird ein Stück sichtbar. Wer wenig Liebe in sich trägt, wird im Wort Gottes nur Gesezt und Gebot lesen. Wer in eine r lebendigen Beziehung mit Gott lebt und mit seinen Mitmenschen, der wird im Wort Gottes den Herzschlag hören, der wird - wo der Lieblose nur Anorganisches entdeckt - das Leben spüren. Der wird begreifen, warum Johannes sagen kann, dass das Wort „Fleisch" werden konnte. Somit gesellt sich der Herr weder zu den Zeloten mit ihrer gewaltbereiten Rechthaberei, nicht zu den Sadduzäern, die im Tod das Ende sehen, nicht zu den Pharisäer mit dem Buchstabenglauben.

Jesus erwirgt am Kreuz das Leben. Jesus läßt am Kreuz das erste Gebot und das Gebot der Nächs-tenliebe sprichwörtlich offenbar werden.

5. Gipfelsturm (Verse 41-46)

Die Gottesfrage ist beantwortet. Die Schriftgelehrten, Pharisäer, Sadduzäer und übrigen Parteien stellen fest: sein Verhältnis zum Gott Israels ist nicht anzutasten. Doch niemand stellt die Frage, die vielen auf den Lippen brennt: ist Jesus der, der da kom men soll. Nun ist es Jesus, der die christo-logische Frage stellt. Der fragt, worin im alten Testament der Messias zu finden ist und wie er seine Herrschaft aufrichtet.

Nun gilt es folgendes zu wissen: die Messiasfrage war im Judentum nicht erschöpfend geklärt. Jeder wußte, dass er kommt. So wie heute der Christ weiß, dass der Herr Jesus nochmal kommt. Aber sie wußten nicht, wie genau alles geschehen würde, so wie wir wis sen, dass der Tag des Herrn kommen wird - so überraschend und unerwartet - wie ein Dieb in der Nacht. Wir haben ungefäre Vorstel-lungen, aber vieles wird „anders" sein. In der Schrift haben wir ein Geländer, aber innerhalb dieses Geländers bleibt vieles of fen. Wenn es so weit sein wird, werden wir es wissen.

Die Pharisäer dachten sich den Messias als politischen Herrscher. Er wird ein Sohn des israelitschen Königs David sein. Das geben sie dem Herrn Jesus zu Antwort. Der Herr bewegt sich in seiner Argumentation fest in den Grenzen der Bibel. Ist der Sohn Gotte s wirklich ein Sohn Davids? Er könnte Jesaja zitieren. Der Messias, Sohn einer Jungfrau! Aber in den Psalmen gehören auch die Überschriften als inspiriert. Und wenn im Psalm 110 als Überschrift David steht, dann schließen die Schriftgelehrten, dass es ein Sohn Davids sein müsse. Und Matthäus läßt in seinem Stammbaum, wo der Herr aus der genealogischen Linie Davids entstammt, auch keinen Zweifel an der Richtigkeit. Der Messias ist ein Sohn Davids. Aber ein leiblicher Sohn? Ein Sohn, für den David ein Ur, ur. ...großvater war? Wie wird der Herr beweisen, dass der Sohn Gottes als Mensch von David abstammt, aber zugleich der leibliche Sohn Gottes ist? Wir müssen hier noch etwas wissen: der Schriftgelehrte sah im „Sohn Davids" einen Ehrentitel. Er ging davon aus, dass der Messias das Königreich Israel wieder aufrichten würde mit der Ausdehnung, die es unter David hatte. Somit ist der Sohn Davids eingeschränkt in menschlicher Vorstellungskraft und Überlieferung.

Der Herr Jesus greift nun eine Frage auf, die sich den Pharisäern stellte, auf die sie aber keine Antwort wußten: wie kann es sein, dass David „im Geist" ihn seinen Herrn nannte? Gott ist Herr. Und Gott, der Herr sprach zu einem weiteren Herrn, dass er sic h neben ihn auf den Thron setzen solle. Nocheinmal: David sah offenbar im Geist eine Wirklichkeit. Prophetisch schaut er Gott, den Herrn auf dem himmlischen Thron. Zu seiner königlichen Rechten sitzt der Sohn. Dieser Sohn ist ebenfalls ein Herr. Und David sagt: er ist mein Herr. Wie kann nun David seinen Sohn zugleich seinen Herrn nennen? Niemand wagte, ihm zu antworten. Es geht ja noch weiter. Wenn dieser Herr, der der Herr auch über David ist, wenn dieser Herr zugleich zur Rechten Gottes, des Vaters sitz en darf, wie ist es möglich, dass dieser Herr als Messias in die Wirklichkeit des Menschen kommt? Für den Theologen damals hatte der Gedanke keinen Platz, dass Gottes Sohn Gott gleich ganz Mensch werden kann. Der Pharisäer ging davon aus, dass der Messias käme, den Cäsar vertrieb und Jerusalem und seine Umgebung in eine Paradies umwandeln würde. Er würde dies als Gott tun. Dass der Messias als Mensch in die Welt kommt, und das Paradies durch seinen Tod am Kreuz für den Menschen erreichbar macht und dieses P aradies dort ist, wo David den Herrn erblickt, blieb für den Schriftgelehrten ein Rätsel. Ein dunkles, nicht zu fassendes Rätsel.

Unvorstellbar, dass Gott in seinem Sohn sich so erniedrigt, dass er dem Menschen gleich würde. Unfassbar, dass er für die Schuld des Menschen büßen wolle und noch unfassbarer, dass der Weg der Erlösung und des Heils für Israel über das Kreuz geht.