Auslegung von Matthäus 21


home





Gliederung:

Christus, der lastentragende Prophet (V.1-11)

  1. Christus, der peitschenschwingende Priester (V.12-17)
  2. Christus, der verfluchende Richter (V.18-22)
  3. Christus, der angeklagte Kläger (V.23-27)
  4. Christus, der Schwachen Anwalt (V.28-32)
  5. Christus, der geopferte Erlöser (V.33-46)

 

Christus, der lastentragende Prophet (V.1-11)

Bethphage (Haus der kleinen, unreifen Feige) liegt nahe Bethanien und dem Ölberg, genauer auf dem Kamm des Ölbergs unterhalb des Gipfels und oberhalb der Senkung, durch die der Weg von Bethanien nach Jerusalem führte. Der Ort gehört nach jüdischer Traditio n noch in den heiligen Bezirk Jerusalems dazu. Jesus stand demnach am Rand der Senkung ins Kidrontal und folgte dem vom Tempel sichtbaren Einzug in die Stadt. Die Wallfahrt begann in Jericho und führte hinauf nach Jerusalem.

Kurz davor sendet Jesus zwei Jünger nach Bethphage mit dem Auftrag, einen Esel und einen Eselsfüllen zu holen. Jesus handelt aufgrund uralter Verheißungen. Interessant ist der Vers aus 2.Mose 4,20, wo Mose - der Erretter Israels - nach Ägypten geht und Fra u und Kinder auf einem Esel reiten läßt. Und die Geschichte der Befreiung Israels „aus dem Sklavenhaus Ägypten" unter Führung Mose spricht für sich. Weiter ist Sacharja 9,9 zu nennen, wo der Erlöser Zions auf einem Füllen der Eselin in Jerusalem einziehen würde.

Der Gedanke ist klar: Jesu Messianität soll in Jerusalem offenbar werden. Jesus erhebt Anspruch auf seine Königswürde und reitet gemäß der Verheißungen nach Jerusalem ein. Jesus ist der Messias, ihm gebührt die Königswürde. Doch er reitet nicht in einem pr ächtigen Kampfwagen einher, wie einst Joseph von Ägypten, sondern schlicht, sanftmütig und demütig auf einem Esel. Ein Tier, dass gebraucht wird „Lasten zu tragen". Und zugleich das Jungtier, auf dem zuvor noch niemand geritten hat. So wird zugleich in un s agbar schönen Beziehungen der Esel zum Bild des Erlösers, der die Lasten dieser Welt zu tragen bereit ist und der noch nie eine Schuld selbst begangen hat. Und es verwundert nicht, dass in einer alten, römischen Kritzelei auf dem Steinboden ein Gekreuzig te r mit einem Eselskopf dargestellt wird. Jesus ist der Lastenträger, aber auch der Herr über die Lasten. Denn er reitet zunächst als König nach Jerusalem.

Nun drängt sich der Gedanke auf, wie das aussah. Zumal Jesus die Anweisung gab, das Muttertier und das Füllen zu holen. In der orientalischen Antike war es Sitte, dass ein Herrscher auf einer Art Stoffbahn, die über zwei Reittiere gelegt war, dazwischen sa ß. Gleich einem Thron. Denn es heißt in Vers 7: „...brachten sie die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider auf sie und er setzte sich darauf!" Würde von einem Esel nur die Rede sein, so müßte es heißen: „legten ihre Kleider auf es (Füllen)". Weite r ist die Frage, worauf sich der Herr setzte. Setzte er sich (darauf) auf den Esel oder auf die Kleider. Wenn auf die Kleider, die auf dem Esel lagen, bleibt immer noch die Frage, warum alle beide Esel erwähnt werden. Eine Möglichkeit ist, dass man das Mut t ertier mitnahm, damit das Füllen nicht in Panik gerät. Aber das Problem würde bleiben, denn es heißt, die Jünger legte die Kleider auf sie!

Wie auch immer: Jesus reitet als Messias in Jerusalem ein. Die Spannung steigt. Die Bevölkerung gerät völlig aus dem Häuschen. Sie reagieren unbewußt, doch ganz gemäß der Verheißung aus Sacharja 9,9: sie freuen sich. Sie legen Kleider auf den Weg, damit de r Huf des Tieres, wo der Prophet sitzt, nicht den Staub berühre. Sie hieben Palmzweige ab als Ausdruck der Freude. Dieser ist der Sohn Davids, der den Willen Gottes tut. Hosanna auf der Erde, Hosanna auch in der himmlischen Welt. Ganz anders als bei uns h e ute rechnen die frommen Juden fest damit, dass ihr Feiern zu Ehre Gottes das Feiern der himmlischen Mächte miteinschließt.

Am Schluss des Abschnittes fragen die Leute, was denn diese Tumult zu bedeuten habe und wer dieser auf dem Esel sei. Und die Feiernden bekennen: er ist der Prophet. In 5.Mose 18,19 heißt es: „Einen Propheten wie mich wird dir der Herr, dein Gott, aus deine r Mitte erstehen lassen. Auf ihn sollt ihr hören!" Einen großen Mann Gottes, einen Propheten schickt Gott seinem Volk. Sie erkennen in ihm nicht den, der er ist: der Christus. Dies wird offenbar nach Kreuz und Auferstehung.

Ein Gedicht zum Abschluss dieses Abschnitt:

Ein Wanderer, ermattet vom Warten lang,

sitzt vor Jerusalems Tore Pracht,

hält dort stille, gespannte Wacht,

und lauscht der Pilger Lobgesang.

 

Ein Weiser, reich an Jahren viel,

naht dem einsam Schweigenden still,

reicht ihm Hand und Wort zum Gruß,

es ruht sein Stab, es ruht sein Fuß.

 

Es fragt der Mann, an Jahren reich,

den Wanderer nach Ziel und Weg

und warum sein Auge müde bleich

so unverwandt zum Tore seh.

 

„Ich hab`s gehört und ich hab`s vernommen,

ein Herr und Streiter, ein Richter und Gott,

Durch Salems Tore muss er kommen,

ein Krieger bin ich, will hören sein Wort.

 

Ein König jener, der Schwachen ein Graus;

er bietet den Mächt`gen Stirn und Faust,

die Lanze zum Trotze der Feinde erhoben,

der herrliche Blick im Stolze verwoben."

 

Der Weise blickt mit verklärtem Gesichte,

zum Tore gewandt, sein Aug und sein Schaun.

„Fürwahr, Er ist Herr der Weltengerichte,

Er ist König und Herrscher allein."

 

Schon hört man der Pilger lauten Gesang,

ihr Rufen und Jubeln bricht sich Bahn.

Doch scheint der Jubel halb verblichen,

Geschrei und Wut ist ihm gewichen.

 

Und durch des Tores herrlich Pforten,

strömen Menschen, strömen Horden.

Inmitten der Mächt`gen Faust und Lanz,

erscheint blutrot der Krone Kranz.

 

Der trübe Blick, in Schmerzen verwoben,

das müde Haupt zum Spott erkoren.

Die Lanz zerbrochen, zum Kreuze geflochten,

den Rücken gebeugt, zum Tragen bereit.

 

Kein Stolz, keine Pracht und kein schön`s Gewand,

kein Heer diesem König zur Seite stand.

Und doch ist er König, der Sünde ein Feind,

und doch ist er Herr, der Sünder ein Freund.

 

Ein Heiland der Schwachen, ein Helfer in Not,

der durch seinen herrlichen Heldentod,

am Kreuz uns erzwingt, das Heil uns erringt,

die Gabe des Lebens dem Menschen er bringt.

 

Der Wanderer steht mit zornigem Blick,

der Weise sich in die Menge reiht,

der Wanderer geht enttäuscht hinweg,

des Weisen Herz ist dem König geweiht.

 

Michael Strauch, September 2002

 

Christus, der peitschenschwingende Priester (V.12-17)

Jesus zieht als König und Messias ein. Sein Weg geht zum Tempel, dort, wo gewiss alle Juden dachten, dass der Messias seine Herrschaft aufrichten würde. Der Tempel war die Wohnung Jahwes. Der Tempel machte Jerusalem zu dem, was es war. Aufgrund des Tempels pilgerten die Menschen dorthin und der Tempel war es, den auch der Herr aufsuchte.

Und seine königliche Tat entsetzt die Jubelnden, läßt die Feiernden bleich werden und die Betroffenen vor Scham oder Wut erröten. Im äußeren Vorhof des Tempels beginnt der Sohn Davids ein Zerstörungswerk, ein Werk der Säuberung. Aus anderer Stelle wissen w ir, dass er die Kaufleute hinaus „gegeiselt" hat. Mit Stricken um sich peitschend vertreibt er den frommen Kommerz, vertreibt er jegliche Form eintönigen Fließbandglaubens, der aus wiederkehrenden Riten und Bräuchen Gewinn und Chance wittert. Jesus vertre i bt nicht die Beter, nicht die Geistlichen, nicht die Andächtigen. Er vertreibt die Geldwechsler und befreit die zum Opfer bestimmte Tiere vor einem sinnlosen Opfer, weil ohne Herz und Gewissen dargebracht. Räuberhöhle nennt der wie Elia streitende König de n Ort der Anbetung Gottes. Räuberhöhle, weil dort sprichwörtlich Schätze angesammelt werden. Es wird Geld gemacht mit dem, was Gott gehört. Darum ist es Diebesgut und im tiefsten verwerflich. Gott gebührt die Ehre allein. Will man Gott bestehlen? Aus se ine n Geboten die Gewinnmarge erhöhn? Die schüchterne Unwissenheit des frommen Volkes missbrauchen, um sich selbst zu bereichern? Es gibt wohl kaum etwas, was den Herrn der Herren so in Rage versetzt, als wenn man mit dem Reich Gottes Geschäfte macht.

Nun haben aber die geistlichen Vorbilder, die Tempelvorsteher, die Hohenpriester etc das alles gebilligt, womöglich selbst ihren materiellen Nutzen gezogen. Nun stellt der Herr durch seine Tat sie vor die Wahl: wollt ihr mir Recht geben? Wollt ihr mit mir sein und den Tempel zu dem machen, als was er gedacht war? Wollt ihr im neuen Tempel anbeten, der Christus selber ist? Wir kennen die Antwort. Später, wenn der Herr bald vor dem jüdischen Gericht stehen wird, wird genau die Frage des Tempels eines der Haup tanklagepunkte sein. Übrigens, um eine Vorstellung zu bekommen, sei erwähnt, dass ein Jude namens Baba Ben Buta eine Herde von 3000 Schafen im Tempelhof aufstellte. Da es viele Arme gab, können wir davon ausgehen, dass es große Mengen an Tauben gab.

Das Bild der Räuberhöhle enttarnt aber noch ein weiteres, sorgfältig gehütetes Geheimnis: Eine Räuberhöhle ist nicht nur Hort des Diebesguts, sondern auch Schutz und Hort der Räuber selbst. So haben die Priester und viele des Volks das höchste Heiligtum, d en Tempel auserkoren, um im äußeren Schutze im Dunkeln sich selbst zu verwirklichen. Der Tempel mit seinen Opferriten ist zu dem geworden, was später bei Martin Luther der Ablass war. Man konnte fröhlich sündigen, sofern man etwas Geld hatte, konnte ein O p fer den Zorn Gottes ja wieder beruhigen. Jesus spricht dieser Art von Gottesdienst, von den Propheten schon früher gebrandmarkt, jegliche Wirkung ab.

Der Herr geht sogar noch weiter. Nahe des Tempels und des Vorhofs saßen die Bettler mit geöffneten, bittenden Handflächen und ihrer verzweifelten Bitte nach Almosen. So schrecklich ihr Los war, der Herr verweist auch diese Art vom Tempel. Doch er vertreibt die Betroffenen nicht, auch gibt er ihnen kein Geld (Silber und Gold hab ich nicht, doch was ich hab, gebe ich Dir..), sondern er heilt sie physisch, sodaß sie es nicht mehr nötig haben, zu betteln.

Die Priester schweigen voller Wut, der Ruf der Erwachsenen folgt kein Echo. Niemand scheint den Herrn zu preisen, ihm Recht zu geben. Sie alle wissen, dass er Recht hat. Doch sie gestehen ihm das Recht nicht zu, das Rechte so offenkundig zu tun. Und damit gestehen sie ihm keinerlei Authorität zu. Niemand verkündet, kurz vor dem Kreuz, dass er der Sohn Gottes ist. Auch der Herr selbst nicht. Doch, eine Gruppe hört nicht auf. Eine Gruppe, von denen der Herr gesagt hat, ihnen gehöre das Himmelreich. Eine Grupp e, die von den Erwachsenen nicht als mündig angesehen, spricht in theologischer Dreistigkeit die große Wahrheit aus: er ist der Messias, der Davidssohn. Wenn Israel den Sohn Gottes nicht preist, dann werden es die Steine tun. Hier sind es die Kinder, die U nmündigen, die Schwächsten, die das Lob „schreien!" Die Kritiker läßt der Herr stehen.

 

Christus, der verfluchende Richter (V.18-22)

Es ist vielleicht besonders Matthäus (Kap 4), der uns den Herrn Jesus als einen Menschen schildert, der „Hunger hat!" Diesen Hunger will er stillen an den Früchten des Feigenbaums. Doch außer Blattwerk hat dieser Baum nichts hervorgebracht. Jesus verflucht diesen Baum und der Baum verdorrt augenblicklich. Wie ist diese Handlung zu verstehen? Jesus führt durch seine reale Tat vor, was geistlich sich abspielt. Das Volk Israel, inbesondere Jerusalem hat den Herrn Jesus willkommen geheißen, ihn einen „Propheten " geheißen, aber den Messias in ihm nicht erkannt. Im Tempel hat der Herr nun diese äußerliche Frömmigkeit, dieses Feiern und Baden in religiösen Gefühlen, die aber im Ernstfall keinen Bestand hat, bloßgestellt. Es geht um mehr als um ein „Feiert Jesus". I m Tempel war er allein. Niemand trat ihm zur Seite, niemand wagte ein Wort der Fürsprache. Jerusalem profitierte von dieser Art Gottesdienst. Der Feigenbaum wurde zum Bild für Jerusalem. Das Blattwerk ist da, doch die Früchte wollten nicht reifen. Wir we rd en an Lukas 13,6-9 erinnert, wo der Herr im Gleichnis von einem Feigenbaum sprach, der keine Frucht bringen wollte. Drei Jahre gab er dem Baum Zeit (wie Jesu öffentlicher Wirksamkeit). Drei Jahre geschah es. Doch der Besitzer ließ sich überreden, noch e in viertes Jahr zu warten, dann sei er fällig. Jesus hat gewartet, gepredigt, gerufen. Tausende liebten seine Predigten, waren dankbar für seine Heilungen und seinen Trost, aber innerlich drangen sie nicht weiter als nur eine „Fan-Mentalität". Jesus sprich t d as Gericht über Jerusalem aus. Jahrzehnte später sollte es durch die römischen Invasionen furchtbare Realität werden. Jerusalem „verdorrte" sprichwörtlich über viele Jahrhunderte.

Die Reaktion der Jünger ist interessant. „Wie ist der Feigenbaum sogleich verdorrt?" Es wird an der Reaktion deutlich, dass in den Jüngern eine Art Zwispältigkeit herrscht. Sie haben theoretisch keine Zweifel an der Macht Jesu, nicht an der Erfüllung seine r Worte und Verheißungen, und doch sind sie erschrocken, wenn es eintrifft.Theoretisch fassen sie es, praktisch erstaunt es sie. Sie können von der Kraft Jesu reden und doch nicht mit ihr rechnen. So ist es ist eine Sache, vom Gericht zu reden, an das Ger i cht zu glauben und es ist ein andere Sache, das Gericht Gottes tatsächlich zu erfahren. Darum spricht der Herr, indem er diesem Zwispalt einen Namen gibt:"...und nicht zweifelt...!" Das alles entscheidende in diesen Momenten ist der Glaube. Glaube an das e ndgültige Wort Jesu, auch dann, wenn das bisherige Frömmigkeitsbild zusammenbricht. Konkret: auch für die Jünger war Jerusalem die heilige, die ewige Stadt. Auch für die Jünger war der Tempel heilig. Sie sind fest erzogen in der jüdischen Frömmigkeit. D och sie sind Jesus nachgefolgt. Glauben seinen Worten. Geben ihm recht, solange das Alte in seinen Grundfesten bestehen bleibt. Doch nun macht der Herr deutlich, dass es ein Gericht geben wird. Ein Gericht, das die Christenheit nicht aufhalten wird. Ein Ge ric ht über das geliebte Jerusalem. Ein Gericht über Tempel, Priesterschaft und Volk. Gott zerbricht die scheinbare Frömmigkeit, zerbricht das Kompromissverhalten. Das bringt die Jünger in einen inneren Zwispalt. Ihre Herzen sind geteilt. Glauben und Bitte n h eißt nun, nicht nur beim Vollstrecker des Gerichts dabei zu sein, sondern selber um diese Kraft Gottes zu bitten. Der Jünger ist nie Zuschauer des Reiches Gottes, sondern involviert. Jesus verlangt Glauben. Und das heißt, Jesus nachzufolgen, seinen Wil len zu erfragen und auszuführen. Der Glaube an Gott widersteht dem eigenen Frömmigkeitsgefühlen. Wer glaubt, der bittet. Und wer bittet und damit aktiv am Reich Gottes teilnimmt, der erlebt Gottes Kraft und Eingreifen. Hier wird uns ein Jünger geschildert, wie er von Jesus gewollt und gedacht ist. Ein Jünger, der aktiv durch seinen Glauben, durch seine Gebete teilnimmt am Geschehen seiner Zeit und im Willen des Vaters bittet und handelt.

Christus, der angeklagte Kläger

Der Übergang ist fließend. Die Jünger bestreiten Jesu Vollmacht nicht, aber sie tun sich schwer mit der Wirkung, die sie hat. Sie glauben an das Gericht und seine Notwendigkeit, erschrecken aber vor dem Inkrafttreten. Die Pharisäer, Schriftgelehrten, Hohen priester und Ältesten hinterfragen denn auch Jesu Vollmacht. Die Frage nach Jesu Vollmacht bezog sich nicht auf den Feigenbaum, sondern auf die Art und Weise, wie der Herr nach Jerusalem einritt und wie er den Tempel „reinigte". Denn eines war klar: der „ S ohn Davids" wird vom Volk akzeptiert, hat die Macht und verlangt von der gläubigen Judenschaft den Gehorsam. Noch wird nicht die Frage nach Jesu göttlichem Anspruch gestellt. Wohl aber, welche Begründung, welches Erlebnis, welchen Beweis er anführen kann , um sich zu legitimieren. Der Entschluss der Hohen Geistlichkeit steht fest: sollte Jesus sich in Antworten verfangen oder unbegründete, lästerliche Äußerungen von sich geben, würden sie sofort handeln. Jesus wäre erledigt. Doch Jesu Entschluss stand eben fa lls fest. Das Gericht ist im Gange. Darum diskutiert er nicht mehr mit ihnen, darum wirbt er nicht mehr um Glauben. Über seine Absicht, über seine Herkunft und seine Mission gibt er ihnen keinen Anlass, der später gegen ihn „mit Recht" hätte verwendet w erd en können. Jesus wollte nicht sich durch diplomatisches Geschick aus der Schlinge ziehn. Denn er wußte, wie nahe er dem Tode war. Sondern durch sein Nein, den Pharisäern Auskunft zu geben über seine Gottessohnschaft über das Schweigen, dass der Hohe Ra t un d Herodes später kurz vorm Kreuz erfahren werden wird deutlich: das Gericht vollzieht sich.

Jesus antwortet mit einer Gegenfrage. Die Gegenfrage impliziert ebenfalls die Fragen nach Herkunft und Wesen der Vollmacht. Woher war die Taufe des Johannes, vom Himmel oder Menschen.

Die Frage ist klug gestellt. Denn die johanneische Taufe war der Aufruf zur Buße, zur Umkehr. Der Bußruf galt in besonderer Weise auch dem „Schlangengezücht", den Geistlichen Jerusalems. Johannes war das Werkzeug, der Herold, der zur Umkehr rief. Doch der Akt der Taufe, die Vergebung, die Möglichkeit, wieder durch Gottes Gnade ganz vorne anfangen du dürfen, ist Gottes Akt. Gott handelt durch die Taufe am Menschen und bedient sich seiner Diener. Zugleich war der Bußruf des Johannes die Wegbereitung für das L amm Gottes, für Jesus Christus. Johannes selbst hat sich öffentlich zu Jesus bekannt.

Die Pharisäer begreifen, was der Herr damit sagen will. Sie wissen um das Prophetentum des Johannes. Doch sie wollen es nicht gelten lassen, verweigern sich selbst die Einsicht, sind zur Umkehr nicht bereit. „Warum habt ihr ihm dann nicht geglaubt?" Und gl eichzeitig wagen sie es nicht, mit theologischen Spitzfindigkeiten dem Johannes seine Mission öffentlich abzusprechen, denn damit verlören sie alle Achtung beim Volk. Sie ringen sich durch zu einer Pattlösung: Wir wissen es nicht. Und offenbaren damit, da s s sie nicht ernsthaft bereit sind, an Jesus zu glauben. Ihre Frage nach Jesu Vollmacht ist eine Falle, ist gemeiner rhetorischer Natur. Der Herr sieht ihr Herz und „wirft die Perlen nicht vor die Säue!" Wo keine Bereitschaft zur Buße ist, ist der Same zu s chade, dass man ihn auf den harten Boden werfe.

 

Christus, der Schwachen Anwalt (V.28-32)

In einer Fernsehsendung (Telekoleg Deutsch) wurde über das Thema „Satire" gesprochen. Eine Satire ist eine erfundene Geschichte, die nicht selten mit markanten Personen ausgeschmückt ist und mit einer einprägsamen Geschichte garniert, verdeckt Kritik an M ißständen übt. Die Betroffenen merken in der Regel sehr schnell, ob sie gemeint sind, können aber den Kritiker nicht richtig greifen. Einer ganz ähnlichen Erzählform bediente sich der Herr Jesus: dem Gleichnis. Die damals herrschende, religiöse Führung, ve rkörpert in den Pharisäern, trachtete Jesus nach dem Leben, weil er die Wahrheit sagte. Darum redete der Herr bis kurz vor seinem Kreuzestod zu ihnen in Gleichnissen. Bei diesem Gleichnis stellen sich uns einige Fragen: Wen meinte Jesus mit den zwei Söhne n ? Was will der Herr überhaupt mit diesem Gleichnis zum Ausdruck bringen?

Der Herr spricht hier von zwei unterschiedlichen Menschentypen: der eine, ein wohl missratener, chronisch Nein-sagender Bengel und der zweite, der um des lieben Friedens willen Ja sagt, aber Nein meint. Aus dem Gleichnis wird erkennbar, dass Jesus beim Nei n-Sager an zwei Personengruppen denkt: an die Zöllner und Huren Zöllner waren jüdische Kollaborateure, da sie für die feindlichen Besatzer Israels, die Römer, Geld in Form von Steuern saugten und sich selbst dazu noch bereicherten. Zöllner, in den Augen i hrer Mitmenschen und sicher auch oft zu Recht: Blutsauger, gewissenlose Menschen, Ausbeuter, Ungläubige.

Die Huren kommen nicht besser weg. Frauen, die ein großes Stück ihres gesunden Schamgefühls ertötet haben, die ebenfalls um des Geldes willen ihren Körper feil bieten. Beide haben ein klares Nein zu Gott und seinem Willen. Sie leben täglich in der Verachtu ng ihrer Mitmenschen. Sie leben frei nach dem Motto: ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich`s völlig ungeniert. Diese Menschen scheitern an jedem Gebot Gottes. Und dennoch waren es Huren und Zöllner, die sich über jede Zuwendung Jesu überschwenglich freuten . Sie empfanden bei ihm Liebe und Angenommensein, trotz ihrer Schuld. Zurück zum Bild des ersten Sohnes. Der chronische Nein-Sager hat Gott nichts vorzuweisen als seine Schuld. Er bereut sie aber, macht eine 180 Grad Kehrtwende und tut plötzlich genau das, was Gott will.

Nun wollen wir uns dem zweiten Sohn widmen. Der „Ja-Sager" steht eindeutig für die Pharisäer und Schriftgelehrten. Für Menschen, die mit Ernst und Nachdruck die Schrift lasen und leben wollten. Wir müssen uns immer wieder wehren gegen den Gedanken, die Pha risäer und Schriftgelehrten seien die Bösewichte und Heuchler par excelence. Es waren Menschen, die aus ihrer Sicht Gott dienen wollten, und zwar mit eiserner Begier. Gegen diesen Eifer für Gott ist nichts einzuwenden. Aber die Frömmigkeit birgt Gefahren. Wenn die Frömmigkeit mit äußerem Ansehen, Erfolg und letztendlich mit Macht belohnt wird, so kann diese Frömmigkeit, wenn auch ursprünglich gut und richtig gemeint, korrumpieren. Sie übt im Grunde einen geistlichen Schalenglauben, der äußerlich intakt ers c heint, innerlich aber nicht mehr den Geist Gottes hat, sondern nur sich selbst. Das ist es, was der Herr meint, wenn der zweite Sohn äußerlich Ja zu Gott sagt, innerlich aber Nein meint.

Wie erkennt man aber, dass die eigene Frömmigkeit innerlich vom Ich überlagert wird. Bei den Pharisäer und Schriftgelehrten hat es sich daran geäußert, dass sie Äußerlichkeiten zu Hauptsächlichkeiten machten. Die Riten, die Gesetze (tu dieses und lass jene s), der Kultus. Der Kultus und der Ritus übt bis heute auf die Menschen eine gewisse Anziehung aus. So ist es doch kaum nachvollziehbar, warum Menschen ihre Kinder taufen lassen, obwohl sie keinen blassen Schimmer haben, was die Taufe bedeutet. Oder die K o nfirmation wird zum Familienfest ohne linearem Verständnis des ursprünglichen Gedankens. In allen Ländern und Religionen haben Riten eine gewisse Anziehungskraft. Und der „Diener" dieser Riten hat Macht über die Menschen. Die Geschichte der Religionen sp ri cht Bände davon (man denke nur an die keltischen Druiden, an die Azteken, an die römischen Auguren etc.). Auch die Pharisäer betonten Äußerlichkeiten, aber den Menschen ließen sie dabei unter den Tisch fallen. Die Nächstenliebe verkümmert, je mehr das i nne re Ich an Geltung gewinnt. Das innere Ich wird dabei fromm getarnt durch fromme Übungen. Das ist das Geheimrezept. Doch Jesus enttarnt es als das, was es ist: Heuchelei. Gott ein Greuel.

Ob ein Christ Gott dient, wird besonders von der Welt daran erkannt, ob er liebt. Ob er sich den Schwachen annimmt, ob er - in den Worten des Gleichnisses - aus Liebe zum Vater in die harte Arbeit des Weinbergs geht, auch wenn er dazu keine Lust verspürt.

Was aber sagt das Gleichnis mir? Ich ertappe mich dabei, dass ich nicht gerne verglichen werden möchte - weder mit dem Zöllner, noch mit dem Ja-Sager. Doch ich weiß, dass es gut ist, offen für das Reden Jesu zu sein. Der Herr will die Zuhörer nicht zu Bode n kritisieren, er will helfen. Und dazu bedarf es, dass man sich erkennt, wie man ist. Nicht, wie einen die Menschen beurteilen.

Was kreidet nun der Herr Jesus dem zweiten Sohn besonders an? Der Sohn kannte den Willen des Vaters. Auch ich kennen Gottes Willen für mein Leben. Fatal ist nun die Unehrlichkeit: das Ja-Sagen zu Gottes Auftrag und das Nein-Meinen. Wir oft singen wir Liede r - gerade moderne Anbetungslieder - die von ihren Texten Ansprüche an meine Frömmigkeit stellen, denen ich doch nie gerecht werde. Und doch singe ich sie laut heraus. Aber ist das nicht auch eine Form der Heuchelei? Wie oft treffen wir uns in Hauskreisen und lesen die Bibel, wollen aber in erster Linie die Gemeinschaft mit Freunden genießen? Wir wollen von Herzen Christen sein, doch das Gebet fällt so oft unterm Tisch. Wir sagen Ja zu Gott in vielen gemeindlichen Aktivitäten, aber Leben ein Nein, wenn es u m Stille vor Gott geht. Wir sagen ja zur Wahrheit, und leben im Kompromiss. Ein Kompromiss lebe ich, wenn ich äußerlich Ja sage, aber innerlich mein Gewissen Nein sagt. Ich sage: Gott, ich liebe Dich. Und lebe in der Gleichgültigkeit denen gegenüber, die m eine Hilfe dringend bräuchten.

Karl Gerok, ein bekannter Dichter des 19.Jahrhunderts, beschrieb einmal, wie er als Pfarrer seine Konfirmanden am Schluss eine Frage stellte: >>„Bekennet ihr euch mit Mund und Herzen zur Lehre Jesu Christi und nehmet ihr sie als göttliche Wahrheit?" „Ja, v on Herzen!" antworteten sie. Und wie es heutzutage nicht anders ist, verlassen die Konfirmanden die Kirche und stürzen sich ins volle Leben.<<

Fritz Rienecker bemerkt dazu: „Eine ganze Gemeinde kann erstarren in Dünkel, Selbstgerechtigkeit und Eigengesetzlichkeit, sodass auch nicht die kleinste Welle echter Barmherzigkeit und wirklich dienender Liebe von ihr ausgeht."

Wohl uns, wenn wir innerlich spüren, dass meine Frömmigkeit es wohl nicht an Ernst und Eifer mangelt, wohl aber an Ehrlichkeit. Wir können umkehren, wie die Zöllner und Huren. Der entscheidende Satz im Gleichnis ist: „Es reute ihn!" Reue ist ein tiefer, se elischer Schmerz um eine begangene Tat oder Haltung, die man zutiefst bedauert. Ein Schmerz darüber, dass man einen Geliebten verletzt hat: seinen himmlischen Vater. Was können wir tun? Zum Vater gehen. Es ihm ehrlich sagen, wie`s um mich steht und Vergeb u ng erfahren!

Ich bin dein, sprich du darauf dein Amen.

Treuer Jesu, sei du mein.

Drücke deinen süßen Heilandsnamen

Brennend uns ins Herz hinein;

Mit dir alles tun und alles lassen,

in dir leben und in dir erblassen,

das sei bis zur letzten Stund

unser Wandel, unser Bund.Amen.

Karl Gerok

 

Christus, der geopferte Erlöser (V.33-46)

In Shakespeares „Heinrich V" gibt es eine Szene, wo der englische König Heinrich um ein tödliches Komplott weiß, den einige seiner Lords gegen ihn geschmiedet haben. Seine engsten Freunde haben ihn an den französichen König, gegen den Heinrich ins Feld zie hen will, verraten. Im Beisein seiner Getreuen bittet er die Verräter, noch nicht wissend, das Heinrich vom Verrat weiß, um einen Rat. Ein armer englischer Bürger ist eines minderen Vergehens überführt worden. Heinrich bittet die engsten Freunde um Rat. D i ese antworten einhellig und spontan. Heinrich solle keine Milde walten lassen. Es gelte gerade in diesen Zeiten, wo alles darauf ankommt, dass man zusammenhält, ein Exempel zu statuieren. Milde wäre sträflich. Heinrich bittet um Nachsicht für den Sünder, d och die Lords bleiben in ihrem Urteil hart und wissen nicht, als Heinrich ihnen Dokumente in die Hand drückt, dass sie ebendies Urteil über sich selbst gesprochen haben. Heinrich nennt gerade im Bezug auf die enge Vertrautheit mit den besagten Lords die sen Verrat als einen „zweiten Sündenfall".

Vielleicht hat William Shakespeare an das Gleichnis gedacht, dass uns der Herr erzählt und deren Botschaft klar und eindeutig ist. Der Weinberg ist ein uraltes Bild für Israel. Der Besitzer ist der himmlische Vater, der Sohn des Besitzers der Christus, die Knechte sind die Propheten, die Weingärtner die Theokraten Israels.

Man kann das Gleichnis aber noch globaler fassen. Die Weingärtner sind das gesamte Volk Israel. Denn der Grundgedanke ist folgender: Gott hat Israel erwählt und vorbereitet, dass es seinen Messias erkennt und annimmt und sein Heil aller Welt verkündigt. St attdessen hat sich das Judentum ein elitäres Bewußtsein geschaffen: Wir sind das Volk, welches Gott sich erwählt hat. Wir sind etwas Besonderes. Die anderen Völker sind Heiden und „Gojim". Und tatsächlich ist die Berufung und Erwählung Israels eine besond e re Sache und ein Grund zu großer Freude. Aber kein Grund zum Stolz. Israel und besonderer Weise seine geistlichen und oft auch politischen Führer haben diese Erwählung genutzt, um sich selbst zu bereichern. Der Rabbi liebt es, wenn er als weise und gotte sf ürchtig geschätzt wird. Die Gelehrten ließen es sich gut gehen in ihrem Amt. Israel kümmerte sich nicht um den Auftrag Gottes. Das Geschenk, dass es von Gott bekam: sein göttliches Wort, sein Heil und seine Erwählung behielt es für sich selbst und war n ich t bereit, es der Welt zu verkünden. Nun hat Gott immer wieder Männer aus dem Volk erwählt, die hingingen und die Führer und Hriten ermahnten. Meist ohne Erfolg. So hat das Volk bzw.die religiösen, jüdischen Führer Gott instrumentalisiert zum eigenen Nu tzen . Sie haben mit Gott „ein Geschäft gemacht!" Nicht genug damit. Sie bringen ihn sogar um. Sie nehmen den Vertreter und Erbe des himmlischen Vaters, wissend um seine Autorität und Herkunft und töten ihn willentlich. Darin liegt ihre Schuld. Jesus macht deut lich, dass die Schuld nicht bei den Römern zu suchen ist. Israel hat seinen Messias getötet.

Doch, und das macht der Herr deutlich: der Weinberg wird weiterbestehn. Er wird den ursprünglichem Verwalter entrissen und neuen Verwaltern übergeben. Der Sohn wird zum Eckstein, zum tragenden Stein, zum entscheidenden Stein. Mit dem Stein macht Jesus deut lich, dass ein neuer Tempel entstehen wird: die christliche Gemeinde, die aus dem Judentum erwächst und Menschen aus allen Nationen in Christus zu einem großen Volk vereinen wird. Wer sich an Christus stört, verliert sein Heil. Wen Christus richtet, der i s t verloren in alle Ewigkeit. Christus ist die Mitte, der alles Entscheidende, der Maßstab allen Heils. Damit deutet der Herr an, dass er im Tode nicht bleiben wird. Gott führt seinen Willen weiter, führt ihn zu Ende. Und er führt den Weinberg weiter und da mit auch die Geschichte Israels.

Die religiösen Führer spüren bis ins Mark, dass sie überführt sind. Und obwohl der Herr sie im Gleichnis des gedanklichen Mordes bezichtigt, scheinen sie nicht zu merken, dass sie genau in diesem Gedanken sich bewegen. Sie bemühen sich gar nicht, aus diese r mörderischen Rolle zu entwischen, in die Jesus sie gleichnishaft gestellt hat. Sie sind bereit. Zu allem. Und die Gelegenheit wird sich bald bieten.