Bibelarbeit zu Matthäus 27, 15-37 erstellt von Michael Strauch


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1. Gliederung

2. Evangeliensynopse - Zusätze? Anderer Blickwinkel?

3. Zur Auslegung

1. Gliederung

  1. Gebt uns den Barrabas (V.15-30)
  2. Dies ist Jesus, der Juden König (V.31-37)

2. Evangeliensynopse - Zusätze? Anderer Blickwinkel?

Vgl.Mk 15,6-19;20-26; Lk 23, 6-25;26-31; Joh 19,1-19

zu a: Gebt uns den Barrabas

Markus: Mk 15,6-19

Lukas: Lk 23, 6-25

Johannes: Joh 19,1-19

zu b: Dies ist Jesus, der Juden König

Markus: Mk 15,20-26

Lukas: Lk 23, 26-31

Johannes: Joh 19,1-19

3. Zur Auslegung

3.1. Versuch einer Gesamtschau aus der Sicht eines Beamten

Der Angeklagte Jesus von Nazareth wird beschuldigt, einen Aufruhr innerhalb der römischen Provinz Judäa angezettelt zu haben. Seine Ankläger setzten sich zusammen aus sämtlichen jüdischen Instanzen, angefangen bei den Ratsherren über den gesamten Klerus. Herodes ist noch nicht informiert. Bisheriger Verlauf wie folgt:

  1. Jesus ist am Ölberg in einer Nacht-und Nebelaktion in einem Garten namens Gethsemane gefangen genommen worden. Das Interesse gilt offenbar nur ihm. Die Schüler ließ man laufen.
  2. Die jüdische Tempelpolizei brachte den Angeklagten zum Priester Hannas. Danach direkt zu seinem Schwiegersohn Kaiphas, dem momentan amtierenden Hohepriester.
  3. Das Ergebnis dieser Verhandlung: Gotteslästerung! Ein jüdisches, kein römisches Problem. Ihr Urteil: Hinrichtung.
  4. Die Ankläger haben Jesus im Morgengrauen zur Burg Antonia vorgeführt. Statthalter Pilatus hat den Angeklagten verhört und nichts von dem bestätigt gefunden, wessen sie ihn anklagen. Pilatus weiß um die Eitelkeit des Klerus und tippt auf Neid. Jesus war sehr erfolgreich und angesehen im Volk. Das muß ihnen ein Dorn im Auge gewesen sein.
  5. Pilatus plädiert für Freispruch. Das Volk bezichtigt Jesus aber der Volksaufwieglung. Pilatus erkundigt sich nach der Herkunft Jesu und übergibt ihn weiter zum jüdischen König Herodes.
  6. Herodes findet ebenfalls nichts, wofür man über ihn die Todesstrafe verhängen müßte.
  7. Pilatus beruft die Vertreter des Volkes, Klerus und weitere Personengruppen und macht nochmal klar, dass weder nach jüdischem Recht durch Herodes noch nach römischem Recht Jesus verurteilt werden müsse. Doch das Volk will Jesus am Kreuz hängen sehen.
  8. Pilatus versucht einen Deal mit den Leuten. Er nimmt Jesus und läßt ihn mit schweren Peitschenhieben foltern. Danach führt er ihn wieder vor das Volk.
  9. Die Ereignisse überstürzen sich. Die Gattin des Pilatus rät ihm dringend davon ab, Jesus zu verurteilen. Auch Pilatus bekommt es regelrecht mit der Angst zu tun.
  10. Doch alles ohne Ergebnis. Das Volk drängt auf die Sitte, die Pilatus alljährlich anbietet: Die Freilassung eines Gefangenen.
  11. Pilatus ringt mehrmals. Widersinnig, einen Aufrührer, dessen Schuld klar bewiesen ist, soll er freigeben und einen des zu Unrecht beschuldigten Aufrührers soll er kreuzigen lassen.
  12. Pilatus gibt dem Druck nach. Er steht kurz vor einem Volkstumult, dazu Erpressung. Sie argumentieren, dass der römische Kaiser ihr König sei. Jesus als König ist gegen den römischen Kaiser. Das kann ihm die Stellung kosten.
  13. Er wäscht seine Hände in Unschuld und übergibt Jesus den Juden. Zwar werden römische Soldaten das schmutzige Handwerk tun, aber den Juden gibt er die Schuld.
  14. Jesus wird gekreuzigt. Pilatus schlägt die Ursache ans Kreuz. Dreisprachig. Die Ursache, so wie der Klerus argumentiert hat. Die Schuld: er sei der König der Juden.
  15. Pilatus macht damit deutlich, dass das israelische Volk ihren wahren König umgebracht haben. ECCE HOMO - seht, welch ein Mensch.

3.2 Die Abschnitte im Einzelnen

3.2.1 Gebt uns den Barrabas (V.15-30)

Die Verse 15-18:

Wer war Pontius Pilatus? Wie ist er einzuordnen oder besser einzuschätzen? Hatte er tatsächlich Mitleid mit Jesus? Empfand er wirklich so etwas wie „Gerechtigkeit"? Wie es dann möglich, dass er sich mit Herodes plötzlich so gut verstand. Hier wollen wir Zeugen aus jener Zeit hören. Zeugen wie den jüdischen, zu den Römern übergelaufenen Josephus oder den Historiker Philo. Folgende Ereignisse mögen ein Bild auf Pilatus geben:

  1. Die Juden lehnten sich gegen jedes Bild auf, dass den Kaiser darstellte. Sogar das Kaiserbildnis auf Feldzeichen brachte sie in Wallung. Pilatus wehrte sich gegen die Juden nur insoweit, als dass er seine Truppen nicht am Tage, sondern bei Nacht marschieren ließ. Auch setzte er seinen Willen nicht um den Preis des Blutvergießens durch.
  2. An der Burg Antonia hingen zeitweise vergoldete Schilde, die dem Kaiser geweiht waren. Auf Druck der Judenschaft ließ er sie entfernen.
  3. Einmal wollte Pilatus eine Wasserleitung bauen. Das nötige Geld entwendete er einfach der jüdischen Tempelkasse. Als die Juden dagegen rebellierten, schickte er nicht Soldaten in römischer Kampftracht in die Menge, sondern ließ die Legionäre sich als Juden verkleiden und diese knüppelten die Menge auseinander.
  4. Einmal gab es in der Regierungszeit des Pilatus ebenfalls einen Pseudomessias, allerdings unter den Samaritern. Als dieser auf den Berg Garizim steigen wollte, griff Pilatus an. Allerdings drangsalierte er nur die Samariter unter ihnen, nicht die Juden. Hinzu kam, dass alle Anhänger sich um ihren Führer zum Widerstand sich formierten.

Wer also war Pilatus? Pilatus kümmerte sich eindeutig „einen Dreck" um die messianische Naherwartung. Religion und Thora interessierten den römischen Beamten nicht die Bohne. Auch ist ihm das Schicksal Jesu gleichgültig. Das Problem war nur, dass er sich nicht von den Juden vorschreiben lassen wollte, wen er zu richten, und wen zu töten habe. Eines gab es, vor was sich Pilatus fürchtete: den Fanatismus. Darum verwickelt er sich ständig in Kompromisse.

Kompromisse suchter er auch im Fall Jesu. Klar, mit einem Mann, der sich selbst zu Gott macht oder sich als König der Juden betitelt, hat er weit weniger Probleme als mit einem Mann, der römische Legionäre ermordet hat. Wir finden bei den Beiden Verurteilten wieder die eigenartigen, grotesken Vergleichslinien. Barabbas - Bar Abba - Sohn des Vaters. Dazu noch Jesus Bar Abbas: Jesus, Sohn des Vaters. Er verdient zu Recht alles, was man Jesus fälschlicherweise vorwirft. Ein Drama auch für Pilatus. Die Juden werfen Jesus Auflehnung gegen Rom und den römischen Kaiser vor. Er soll dafür sterben. Doch tatsächlich getan hat er es nicht. Jesus Bar Abbas hat das alles getan, diesen wollen die Juden frei haben.

Verse 19: Die Frau des Pilatus

Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass große Politiker und/oder andere einflußreiche Männer auf ihre Frauen hörten. So z.B. gelang es der Römerin Popäa, dass jüdische Priester freigelassen wurden, die lange in Rom gefangen gehalten wurden. Antonia setzte im Interesse Agrippas bei Kaiser Tiberius durch, dass ein Mann namens Eutychus verhört werden konnte. Beim römischen Kaiser Claudius war es Agrippina, der es gelang, bei einem Streit zwischen Juden und Samaritern die Verurteilung der Samariter zu bewirken. Der römische Kaiser Vespasian hat einen Justus zum Tod verurteilt. Die Frau Agrippas - Berenike - bewirkte seine Begnadigung. In Alexandria verhindert die Nebenfrau des Ptolomäus Physkon den Judenmord. Kleopatra verwendet sich für den gefangenen Verwalter des Steuerpächters Josef...

Hier merken wir, wie sich Kräfte aufbäumen, wie in den entlegensten Winkeln menschlichen Bewußtseins sich etwas regt, erhebt und um sich schlägt, was schemenhaft nicht zu greifen ist. Es ist nur ins Ohr geflüstert, „nur" von einer römischen Frau eines Statthalters im fernen Palästina, völlig ohne Fakten, ohne Zeugen, „nur" böse Träume. Und doch mischt sich alles in dem grenzenlosen Unbehagen, in das sich Pilatus wälzt und sich dem zu entledigen sucht, indem er sich die Hände in scheinbarer Unschuld wäscht. Am Kreuz werden sich die Kräfte der Natur erheben und das Volk Israel wird „viel leiden um seinetwillen".

Vers 20: Aufreibende Kräfte

Doch neben den Kräften des Gewissens in römisch-heidnischen Gehirnen brauen sich die Kräfte des theologischen Fanatismus. Der Fanatismus, der in jetziger Zeit irrtümlich seine Wurzel im Fundamentalismus sieht, hat seine wirklichen Wurzeln in der Macht, im Neid, in der Mißgunst, im Größenwahn. Vollstrecker sind jene, die „gerne gesehen werden" auf den Marktplätzen, die gönnerisch die Augen schweifen lassen über die sie Grüßenden, die in ihren Gebeten angespornt werden durch die stille Bewunderung der Umherstehenden. Der Mensch ist ein Beziehungswesen. Und er setzt alles drein, dass die Beziehungen sich ihm zuwenden. Je schwächer die Beziehung nach oben, je stärker die Beziehung horizontal - bei den Mitmenschen. Weh aber, wenn andere kommen. Den Einfluss streitig machen. Wie war es noch? Er predigte mit mehr Vollmacht als die Schriftgelehrten und Pharisäer. Schlimmer noch. Auch das Monopol der Rechthaberei in theologischen und damit allen Lebensfragen in Israel wurde streitig gemacht. Pilatus wußte darum, dass die Obersten des Volkes Jesus aus „Neid" übergaben.

Einschub: Der Neid ist auch in den Gemeinden ein großes Problem. Fast in jedem Ort, wo ich war, und aus vielen Gesprächen mit Betroffenen, gibt es in vielen Stunden, Hauskreisen, Gottesdiensten - wie ich sie nenne - Stundenpäpste, Hauskreispäpste etc. Meist Männer, die über Jahrzehnte sich ein theologisches Wissenspaket angeeignet haben, ihre Stellung bei den anderen sich aufgebaut haben und nun zu kämpfen haben, wenn ein „Vollamtlicher" kommt. Zuerst wird dieser mit Freundlichkeit zu gewinnen versucht. Doch recht bald rutscht hier und da ein verdächtiger Imperativ hindurch. Dieser innere Zwist lodert je nach Temperament offen auf, meist aber wird er dadurch zu gewinnen versucht, indem man so vorgeht, wie einst die Schriftgelehrten und Pharisäer: „aber die Hohenpriester und Ältesten überredeten das Volk, dass sie um Barrabas bitten, Jesus aber umbringen sollten!" Heute würde man sagen: so das Wasser abgraben, dass der Pastor „hinausgeekelt" wird. Die Wurzel all dessen ist der Neid.

Einschubende

Verse 22-25: Auch Pilatus „kocht nur mit Wasser"

An diesem Tag steht alles Kopf. Ein Volk Gottes opfert Gott. Ein heidnischer Römer begeht ein jüdisches Ritual, ein Mann wird offensichtlich zu Unrecht wegen Volksaufhetzung gegen den römischen Staat zum Tod verurteilt, und ein Mann, dessen Tat bewiesen ist, wird nach Volksaufhetzung und Mord freigelassen. Menschenmassen, die noch heute das Hosianna sangen, schreien schon bald darauf das „Kreuzige ihn!"

Einschub:

Warum machte das Volk hier mit! Vor der römischen Gewalt brauchte es sich nicht zu fürchten. Sie mußten gemerkt haben, dass Pilatus nicht auf der Seite iherer Oberen ist. Und sonderlich beliebt waren die Schriftgelehrten und Pharisäer ganz bestimmt auch nicht. Warum machte das Volk hier mit? Warum ließen sie sich überreden? Ich habe darauf keine Antwort. Es in allen Epochen stets die Warum-Frage gewesen. Warum hat hat das Volk Diktatoren über sich geduldet, warum - wie im 3.Reich - Ideen in sich aufgesaugt, die aus einer Fantasylektüre zu kommen scheinen. Das ist nicht alle mitgeschrien haben, macht Johannes deutlich. Er berichtet, dass Frauen auf dem Leidensweg Jesu um ihn „weinten". Und das öffentlich wie antike Klageweiber.

Einschubende:

Pilatus wäscht sich die Hände in Unschuld. Ich zitiere aus 5Mose 21, 6ff: „Und alle Ältesten der Stadt, die dem Erschlagenen am nächsten liegt, sollen ihre Hände waschen ...Und sie sollen sagen: Unsere Hände haben dies Blut nicht vergossen, und unsere Augen haben`s nicht gesehen. Entsühne dein Volk Israel, das du, der Herr erlöst hast; lege nicht das unschuldig vergossene Blut auf dein Volk Israel (-"Sein Blut komme über uns und unsere Kinder" Matth 27,25) !"

Ob Pilatus davon wußte? Ob es in heidnischen Religionen ähnliche Rituale gab? Ob Pilatus, diese Handhabung kennend, den Pharisäern eins auswischen wollte? Tatsache bleibt: die Schuld kann mit Wasser nicht weggewaschen werden. Es bleibt aber bei dem Urteil Jesu, dass die Schuld des Pilatus geringer ist als derjenigen, die ihn überliefert haben. Allein Pilatus verfolgt keinen der Anhänger Jesu. Normalerweise hat er er alle grausam verfolgt, die Anhänger von Bandenchefs waren.

Das Volk schreit nach dem Opfer. Sie wollen, dass Jesus stirbt. In den Nachrichten dieser Tage kann man in Palästina sehr gut beobachten, wie das ausgesehen haben mag, wenn wütende Massen sich zusammenrotten und das Ganze ein äußerst bedrohlicher Schmelztiegel menschlicher Wut zu werden droht. Pilatus hat äußersten Respekt davor und gibt dem Volk seinen Willen.

Und doch. Wir erinnern uns an Kaiphas, wie er sagte: es sei gut, dass ein Mensch für das Volk sterbe. Ohne zu wissen und zu wollen wird er zum Instrument Gottes für die Erlösung der Welt. Auch hier: das Volk schreit, dass Jesu Blut über sie und ihre Kinder kommen möge. Letzteres meint, dass die Verantwortung für diesen Mord auch auf die Kinder übertragen wird. Und genau dieses Blut wird der Menschen Rettung und Segen sein.

Verse 25 - 30: Der König der Juden

Pilatus gibt dem Volk den Barabbas frei (eindrücklich verfilmt mit Antony Quinn im gleichnamigen Film). Danach bringt man Jesus ins Prätorium. Wer schon einmal dort gewesen ist, dem fallen die in den Steinfußboden eingravierten Spiele und Zeichnungen der römischen Legionäre auf. Ein „Graffiti" ist berühmt geworden, zeigt es einen Gekreuzigten mit Eselskopf. Ob das, was die Legionäre mit Jesus machen rechtens ist, wer fragt danach? Und das Pilatus letztendlich auch bei Jesus nur politisches Kalkül verfolgte, zeigt sich, dass er dem Verurteilten keinen Schutz gewährt vor seinen römischen Legionären. Legionäre waren hart gesottene Männer. In einem aufmüpfigen Nest wie Palästina konnte jeder Tag ihr letzter sein. Aufstände, Guerillaeinheiten, Hinterhälte gab es zu Dutzenden. Der Hass der von ihrer Heimat so weit Entfernten gegen die Juden mit ihrer ihnen völlig fremden Lebensweise und Kultur mag in Jesus als dem Judenkönig ein willkommenes Opfer gefunden haben. Der beißende Zynismus ist nun auch kaum zu überbieten. Galt im alten Rom eine Krone, die Legionäre aus Gras flochten und ihrem Anführer aufsetzten, als höchste Würde und Ehre, so basteln sie Jesus eine Krone aus dornigen Zweigen. Trug der römische Kaiser einen rohrartigen Stab als Insignum seiner Macht, so geben sie ihm hier eine Eisenstange in seine rechte Hand. Auch trug nicht jeder den kostbaren Purpurumhang, dessen rote Farbe von Meeresschnecken mühsam gewonnen werden mußte. Dies blieb Königen, Adligen und hohen Offizieren vorbehalten. So verspotten sie Jesus auf römisch. Rom war damals aber Weltmacht. Und nicht selten haben Legionäre ihre Könige ermordet und - z.B. am Beispiel Caligulas und des Claudius - einen neuen König als Weltregent eingesetzt. Auch Jesus wird als Weltenregent mit Sitz in Jerusalem - karikierend - eingesetzt. So liegt in all den Lästerungen, Verspottungen und all der Gewalt bis hin in Einzelheiten doch die kommenden Herrlichkeit Gottes verborgen. Noch im Sterben funkelt Jesu Herrschaftsanspruch. Denn das Heil kommt von den Juden. Und von Israel geht die Erlösung aus für die ganze Welt. Doch in jenem Moment erfüllte sich allein die Beschreibung des leidenden Gottesknechts in Jesaja 50,6ff.

Verse 31-37: Via Dolorosa - der Weg der Schmerzen

Wie ausführlich wurde das Abendmahl beschrieben, wie ausführlich Verrat, Gericht, Verspottung, Verleugnung. Und wie knapp der Weg des Kreuzes. Fast lapidar wird gesagt: die Legionäre nehmen ihm die Spottinsignien wieder weg und ziehen ihm sein Kleid an. Dann führen sie ihn zur Kreuzigungsstätte. Was ging in Jesus vor? Was dachte, was empfand er? Wer darauf eine Antwort sucht, der sei auf Psalm 22 verwiesen.

Die Beziehung Jesu zu den Menschen scheint wie gestorben. Der Blick fällt nur noch auf ihn. Er geht diesen Weg wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Innerlich wird der Herr ganz auf den Vater ausgerichtet sein.

Und die Jünger? Waren sie in der Nähe? Verfolgten sie Jesu letzten Gang zum Kreuz? Niemand war da. Die Herde ist zerstreut, wie es der Herr vorausgesagt hatte. Allein ein Mann aus Kyrene, der - man möchte fast sagen, anstelle der Jünger - gezwungen wird, Jesus den schweren Balken nachzutragen. Ein winziger Moment der Barmherzigkeit? Oder nur Mittel zum Zweck, damit die Kreuzigung möglichst schnell vonstatten gehen kann.

Golgatha (Golgotha) ist sprachlich aus dem syrischen entlehnt. Im griechischen heißt der Ort „Schädelstätte!" Das Wort „Schädel" meint hier nicht, dass der Hügel das Aussehen eines Totenkopfes hatte, sondern dass der Platz gemieden wurde. Er ist unrein und wurde darum genutzt, um Menschen hinzurichten. Wenn ein Schädel sich im Boden befand, so galt nach jüdischer Vorstellung der Ort als unrein.

Dort, an einen unreinen Ort, brachte man den Reinen. Er wird gekreuzigt und trägt alle Schuld auf sich. Den Akt der Kreuzigung muß man sich in der Regel so vorstellen, dass ein Balken schon in die Erde gerammt worden ist und abgestützt wurde Danach hat man den Verklagten an einen Querbalken mit Nägeln (durch Elle und Speiche) geschlagen, mit Seilen festgebunden und dann so festgenagelt, vertikal am Hochbalken emporgezogen. Die wahnsinnigen Schmerzen allein durch diesen Prozess lassen sich nur erahnen. Die Vermutung legt nahe, dass der Herr nackt am Kreuz hing. Sein Kleid verlosten die Legionäre unter sich. Vermutlich war es aus einem Stück gewebt und darum nicht ohne Wert. Dabei wurde eine Schale mit Losen gefüllt und umhergereicht.

Nun erscheint er doch noch. Man hätte meinen können, er sei zum Tagesgeschäft übergegangen. Pilatus selbst erscheint, in seiner Hand eine Tafel, wo er dreisprachig den Grund der Kreuzigung schreibt: Dies ist Jesus, der König der Juden.

Einschub:

Was beabsichtigte Pilatus mit diesem Schild? Und warum haben sich die Volksoberen dagegen empört und Pilatus hat sich diesmal durchgesetzt? Ich denke, der Grund ist ein politischer. Die Juden haben einen Mann kreuzigen lassen, der nach römischem und jüdischem Recht unschuldig, zumindest nicht des Todes schuldig war. Weiter galt Jesus lange Zeit im Volk als der verheißene Messias, der Christus. Als Pilatus schlauerweise beim Richterstuhl schrie, dass Jesus doch der Judenkönig sei, diese aber sich dafür aussprachen, dass der römische Kaiser ihr König sei, hat er politisch gewonnen. Pilatus wird nun auch in Zukunft - quasi durch die Statuirung eines Exempels - jeden Messianismus, und sei er noch so friedlich, als Rom feindlich ansehen können und ihn mit aller Gewalt niederdrücken. So hat Pilatus später auf dem Garizim gewütet, so wurden spätere Messiasse wie z.B. Bar Kochba blutigst niedergerungen. Die Juden haben ihren König ermordet und akzeptieren, quasi durch Volksentscheid, nur den römischen Kaiser über sich. Pilatus handelt aus seiner Sicht klug und politisch hat er die Schriftgelehrten, Pharisäer etc. ausgetrickst. Die ahnen es wohl auch und versuchen, mit sprachlichen Haarspaltereien zu intervenieren. Er solle darum auch schreiben, dass Jesus von sich behauptet hätte, er sei der König der Juden. Doch Pilatus schlägt mit jedem Hammerschlag damit auch die kommenden Messiaserwartung sprichwörtlich tot.

Einschubende

So starb einer für das ganze Volk. So krönte man den Einen zum Weltregenten. So erhöhte man den Einen über alle. So trug der Eine alle Unreinigkeit an sich. So verwandelt der Eine durch sein Blut allen Hass, alle Bosheit, alle Gewalt zum Heil für die ganze Menschheit. So wird durch römischer Hand der Eine zum wahren König Israels, zum Messias und Christus Alles, was nach ihm kommt, hat kein Recht mehr auf diesen Titel. Er ist der Christus. Petrus wird in Apg 2,36 später sagen: So wisse nun das ganze Haus Israel gewiss, dass Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Christus gemacht hat.