Was sagt die Bibel zu Ehescheidung und Wiederheirat?
Ein Artikel aus „Bibel aktuell“ von Gary Burge

Das Schiff, das sich Gemeinde nennt, steuert rauen Gewässern entgegen: Auch christliche Ehen erleiden immer häufiger Schiffbruch. Ungezählte Fragen erhitzen die Gemüter: Ist Scheidung aus Gottes Sicht möglich? Was soll Betroffenen geraten werden, die auf ein neues Glück zu zweit hoffen? Gary Burge, Professor für Neues Testament am renommierten Wheaton College, zeigt im folgenden Artikel die biblische Sicht der Dinge.

Es gibt drei Passagen im Neuen Testament, die sich ganz unmittelbar mit dem Thema "Scheidung und Wiederheirat" befassen. Und ich glaube, dass sie zwei Dinge vermitteln, wenn man sie aufmerksam betrachtet- Auf der einen Seite stellen sie höhere Forderungen - auf der anderen Seite schränken sie doch weniger ein, als es von Christen häufig wahrgenommen wird.

Lukas 16,18 liefert eine sehr direkte Aussage, die auf den ersten Blick den Anschein macht, als würde sie das Thema schnell auf den Punkt bringen: "Wer sich scheidet von seiner Frau und heiratet eine andere, der bricht die Ehe; und wer die von ihrem Mann Geschiedene heiratet, bricht die Ehe." Also ist beides falsch: Scheidung und Wiederheirat. Oder?

Alle neutestamentlichen Gelehrten stimmen darin überein, dass diese Aussage eine gekürzte Version des Ausspruchs Jesu in Matthäus 5,31-32 ist. Nachdem Jesus dort seine Sicht der Dinge der gängigen Meinung des Judentums gegenübergestellt hatte, merkte er an: "Es ist auch gesagt: Wer sich von seiner Frau scheidet, der soll ihr einen Scheidebrief geben. Ich aber sage euch: Wer sich von seiner Frau scheidet, es sei denn wegen Ehebruchs, der macht, dass sie die Ehe bricht; und wer eine Geschiedene heiratet, der bricht die Ehe."

Also weiß Jesus sehr, wohl um Umstände, die eine Scheidung recht- fertigen. Eine Ehe ist so lange gültig, bis ein Partner sie durch Untreue bricht. Diese so genannte Ausnahme kommt sowohl in Matthäus 5 wie in Matthäus 19 vor, nicht aber in Markus oder Lukas. In einer ähnlichen Passage, in Markus 10,11-12, erweitert Jesus den Rahmen der Lehre, womit er deutlich machen will, dass eine Ehe sowohl durch das Verhalten des Mannes wie auch der Frau aufgelöst werden kann (und dass, obwohl sich eine Frau nach der jüdischen Tradition nicht von ihrem Mann scheiden 1assen konnte): "Wer sich scheidet von seiner Frau und heiratet eine andere, der bricht ihr gegenüber die Ehe- und wenn sich eine Frau scheidet von ihrem Mann und heiratet einen anderen, bricht sie ihre Ehe." Eine wörtlichere Übersetzung von „bricht sie die Ehe" würde lauten "sie wird ehebrecherisch gemacht'. Was heißt: Eine Frau, die ohne gerechten Grund,geschieden wird und erneut heiratet, bricht die Ehe, weil diese weiterhin gültig war. Als er das sagte, hatte Jesus wohl die Praxis der Männer im Kopf, die ihre Frauen oft ohne triftigen Grund entließen und sie damit ausbeuteten.

Wie aber wenden wir diese "Ausnahmeregelung" heute an? Akzeptiert Jesus nur Scheidung als rechtmäßig - nicht aber eine Wiederheirat des unschuldigen Teils? In der jüdischen Gesellschaft der Zeit Jesu war eine Wiederheirat des unschuldigen Partners immer angestrebt, es sei denn, sie war aus bestimmten Gründen verboten. Untreue erklärt eine Ehe für ungültig. Wenn daraufhin eine rechtmäßige Scheidung die Ehe auflöst, ist dem unschuldigen Teil eine neue Heirat erlaubt - genau so, als wäre die Person ledig gewesen.

Jesus nimmt Scheidung sehr ernst. Es gibt bei ihm ein ernstes Gericht über Sünde - aber gleichzeitig gibt es bei ihm (und das sollte es auch nicht) keine Verurteilung des Unschuldigen.

Warum erlaubte Mose die Scheidung?
Die zweite entscheidende Bibelstelle finden wir in Matthäus 19,3-12 (siehe auch Markus 10,2-12). Einige Pharisäer wollten Jesu Auslegung des Scheidungsgesetzes testen. Jesus verteidigt das dauerhafte Bestehen der Ehe, indem er auf 1. Mose verweist: " ... und die zwei werden ein Fleisch sein". Und als Antwort darauf, warum Mose die Scheidung erlaubte, sagt er: "Mose hat euch erlaubt, euch zu scheiden von euren Frauen, eures Herzens Härte wegen; von Anfang an aber ist's nicht so gewesen. Ich aber sage euch: Wer sich von seiner Frau scheidet, es sei denn wegen Ehebruchs, und heiratet eine andere, der bricht die Ehe.'

Auch hier schließt Jesus die ,Ausnahmeregel" mit ein, die eine Scheidung erlaubt, wenn Untreue vorliegt. Das Problem an dieser Stelle lag im jüdischen Gesetz begründet: Männer durften ihre Frauen entlassen - und das aus häufig ganz fadenscheinigen Gründen. Ein großer Rabbi, Schammai, lehrte, dass Scheidung nur auf Grund von sexueller Untreue und Ehebruchs erlaubt war. Rabbi Hillel hingegegen sah die Sache großzügiger: "Ein Mann möge sich von seiner Frau scheiden, ... wenn sie auch nur die Suppe verbrannt oder einen Teller zerbrochen hat." Solche Scheidungen überließen die Frauen sich selbst. Ohne Hoffnung auf eine Wiederheirat waren sie in der damaligen Männerwelt vollkommen verloren. Solchen nur auf den eigenen Vorteil bedachten Scheidungen stellte sich Jesus vehement entgegen.

Für ebenso unannehmbar hält er die Lehre, die einem Mann vorschrieb, auf seine Frau zu verzichten, wenn diese auch nur der Untreue verdächtigt wurde (denken Sie an Josefs Reaktion, als er von der überraschenden Schwangerschaft Marias erfuhr!). Mose befahl dem Volk nicht, sich von seinen Frauen scheiden zu lassen – er erlaubte es. Der Ausgangspunkt richtigen Handelns sollte nicht Hartherzigkeit, sonder Nächstenliebe sein. Jesus bestätigt einmal mehr, dass eine Scheidung nur dann gerechtfertigt ist, wenn ein Partner etwas getan hat, das die Ehe irreparabel zerstört. Und selbst in solchen Fällen ist Scheidung nicht die zwingende Antwort.

Viele haben heutzutage diese bestimmte Stelle so ausgelegt, dass sie zwei Aussagen unabhängig voneinander treffen:
1. Man kann sich nicht von seiner Frau scheiden, es sei denn, sie war untreu. Und
2. Wer auch immer erneut heiratet, bricht die Ehe.
Aber dies ist nicht die Aussage des Verses. Die Grammatik schreibt an dieser Stelle vor, dass er im Zusammenhang gesehen und damit folgendermaßen gelesen werden muss: „ Wer immer das folgende tut der bricht die Ehe: Wer sich von seiner Frau scheiden lässt (außer wgen sexueller Untreue) und erneut heiratet.“ Damit steht nicht jeder, der nach einer Scheidung erneut heiratet unter Gottes Gericht, sondern nur der, der nach einer nicht gesetzmäßigen Scheidung wieder heiratet. Wenn die Scheidung ungültig war, so ist es auch die neue Ehe. Aber der Umkehrschluss ist eben so richtig: Wenn die Scheidung gültig ist, muss auch die neue Ehe anerkannt werden.

Nicht an die Ehe „gebunden“
Die dritte wichtige Aussage finden wir in 1. Korinther 7. Paulus wiederholt noch einmal die Lehre Jesu: Mann und Frau ist es nicht erlaubt, einander einfach zu verlassen, sondern sie sollen stets eine Versöhnung anstreben. Und dann befasst sich Paulus mit einer Thematik, die Jesus fremd war: Was, wenn ein Christ oder eine Christin mit einem ungläubigen Partner verheiratet
ist ? Kann es eine geistliche Einheit zwischen den beiden geben? Paulus fordert, dass der christliche Partner wegen des geistlichen Mangelzustandes des Anderen keine Scheidung herbeiführen soll: „ Wenn ein Bruder eine ungläubige Frau hat und es gefällt ihr, bei ihm zu wohnen, so soll er sich nicht von ihr scheiden.“. Das Gleiche gilt für die christlichen Frauen, denn die Gegenwart eines Christen in der Ehe, bringt Hoffnung und Errettung – sowohl für die Kinder, wie für die ganze Familie.

Doch dann macht Paulus eine Ausnahme gegenüber Jesu Gebot: Wenn der ungläubige Ehepartner die Ehe verlässt, muss der Christ auf eine Versöhnung hinarbeiten, ist aber nicht „gebunden“. Diese letzte Aussage in Vers 15 ist entscheidend. Der unschuldige Partner ist nicht an die Ehe gebunden. Die Sprache, die Paulus hier benutzt, lässt direkt die Worte des jüdischen Scheidungsgesetzes widerhallen: "nicht gebunden" bedeutet, dass, die unschuldige Person frei ist, erneut zu heiraten.

Paulus verstärkt seinen Gedanken sogar noch einmal in den Versen 26-28: "So meine ich nun, es sei gut um der kommenden Not willen, es sei gut für den Menschen, ledig zu sein. Bist du an eine Frau gebunden, so suche nicht, von ihr loszukommen; bist du nicht gebunden, so suche keine Frau. Wenn du aber doch heiratest, sündigst du nicht, und wenn eine Jungfrau heiratet, sündigt sie nicht." Wörtlicher übersetzt sagt Paulus hier nicht "wenn du nicht gebunden bist", sondern "wenn du gelöst worden bist". Damit ist jemand gemeint, der aus einer Ehe gelöst wurde, also jemand, der verheiratet war und rechtmäßig geschieden wurde. Solchen Menschen legt Paulus nahe, ledig zu bleiben "um der kommenden Not willen". Wenn sie jedoch trotzdem wieder heiraten, sündigen sie nicht. Zusammengefasst fügt Paulus also einen weiteren möglichen Grund für eine gültige Scheidung hinzu: das Verlassen der Ehe durch den ungläubigen Partner. In diesem Fall - wenn auch der Christ keine Scheidung anstreben soll - darf er oder sie als Opfer einer Scheidung erneut heiraten.

Der Mann einer Frau
Zum Schluss macht Paulus in seinen Briefen einige Anmerkungen über die Natur der Ehe, die das Thema der Scheidung und Wiederheirat ansprechen. In beiden Stellen, in 1. Timotheus 3,2 und Titus 1,6, macht Paulus für Bischöfe (l. Timotheus) und Älteste der Gemeinde (Titus) zur Auflage, nur "einmal verheiratet" bzw. "Mann einer Frau" zu sein. Diese Verse haben etliche christliche Gemeinden und Werke dazu verleitet, begabte Leiter zu disqualifizieren, wenn diese jemals in ihrem Leben geschieden wurden. Aber ich bezweifle, dass dies dem Denken des Paulus auch nur nahe kommt.

Die Verse beziehen sich wahrscheinlich auf die Praxis der Vielehe. Vom römischen Gesetz her verboten, war sie im Judentum erlaubt - wenn auch die Einehe die Norm war. Die jüdische mündliche Überlieferung z.B. erlaubte es einem Mann, bis zu 18 Ehefrauen zu haben. Diesbezüglich mag Paulus gesagt haben, dass christliche Leiter nur eine Frau haben durften.

Zweitens: Einige Zeugnisse aus dem griechisch-römischen Kulturkreis lassen vermuten, dass einige Männer Konkubinen hatten, obwohl dies in beiden Gesellschaften verboten war. Paulus will es absolut klar machen: Christliche Männer sollen rein und moralisch in ihren ehelichen Verbindungen leben. Er sucht nach Leitern mit einem soliden Familienleben.

Das ganze Neue Testament zeigt also eindeutig, dass Ehe als eine göttlich eingerichtete Beziehung zwischen Mann und Frau ist. Sie soll monogam und von lebenslanger Dauer sein.,Scheidung ist das tragische Ergebnis einer Menschheit, die mit Sünde und Zerbrochenheit zu kämpfen hat. Wann immer eine Ehe zerbricht, sollten wir dies als tragisch beklagen. Aber es sollte ebenso kein Irrtum darüber herrschen, dass Scheidung nicht vergeben werden könnte. Keine Verfehlung liegt außerhalb des Einzugsbereiches der Gnade Gottes. Gott ist ein Gott der Erneuerung und des Wiederaufbaus. In manchen Fällen bedeutet dies, eine geschiedene Ehe in ihre ursprüngliche Partnerschaft zurückzuführen. In anderen Fällen - und da denke ich an viele - bedeutet es, dass Wiederheirat eine Möglichkeit der Erneuerung und neuer Hoffnung ist. Aus diesem Grund machen christliche Gemeinden und Werke einen Fehler, wenn sie für geschiedene Männer und Frauen die Möglichkeit eines geistlichen Leiteramtes oder eine Wiederheirat kategorisch ablehnen. Solche Positionen verleugnen nicht nur den Geist des Amtes Jesu, sondern missverstehen auch die Gnade Gottes in einer zerbrochenen Welt. Lesen Sie in der nächsten Ausgabe."Hoffnung für Scheidungskinder - wie sie den Bruch bewältigen können!'